Der Mord zum Sonnntag
als habe sie tatsächlich kein Zuhause.
Würde der Prozeß sich als Katharsis erweisen? Würde
das Bewußtsein, zur Bestrafung von Leilas Mörder
beigetragen zu haben, eine befreiende Wirkung auf sie
ausüben, so daß sie Kontakt zu anderen suchen, ein neues
eigenes Leben anfangen konnte?
«Entschuldigung.»
Ein junges Paar ging hinter ihr. Sie erkannte ihn – ein
Tennisspieler der Spitzenklasse. Wie lange hatte sie den
beiden schon den Weg versperrt?
«Tut mir leid. Ich muß wohl geträumt haben.»
Sie trat beiseite, und die beiden konnten nun
unbehindert, Hand in Hand, unverbindlich lächelnd,
vorbei. Sie folgte ihnen langsam bis zum Ende des Weges,
die Verandatreppe hinauf. Ein Kellner bot ihr einen Drink
an. Sie nahm ihn entgegen und stellte sich ganz hinten an
die Brüstung. Für nichtiges Gespräch fehlte ihr der Sinn.
Min und Helmut machten die Runde bei den Gästen mit
der Gewandtheit alterprobter Party-Veranstalter.
Min, im flatternden Kaftan aus gelbem Satin, dazu lange
Diamant-Ohrgehänge, zeigte sich in strahlender
Siegerlaune. Zu ihrer nicht geringen Überraschung stellte
Elizabeth fest, daß Min eigentlich recht schlank war. Es
lag an ihrer Vollbusigkeit und dem hochfahrenden
Gehabe, daß sie einen derart imposanten Eindruck
erweckte.
Helmut war wie immer tadellos gekleidet – marineblaues
Seidenjackett und hellgraue Flanellhosen. Er verströmte
Charme, beugte sich über Damenhände, lächelte, zog eine
makellos geschwungene Braue hoch – der vollendete
Gentleman.
Aber warum haßte er Leila?
An diesem Abend waren die Speisesäle pfirsichfarben
dekoriert: pfirsichfarbene Tischdecken und Servietten,
Tafelaufsätze mit pfirsichfarbenen Rosen, LenoxPorzellan mit zartem Dessin in Pfirsichfarben und Gold.
Mins Tisch war für vier Personen gedeckt. Im
Näherkommen bemerkte Elizabeth, wie der Oberkellner
Min zum Telefon dirigierte.
Sie kehrte offensichtlich verärgert zurück. Trotzdem
schien die Freude, mit der sie Elizabeth begrüßte, echt zu
sein. «Endlich ein bißchen Zeit für ein kurzes
Zusammensein, Elizabeth. Ich hatte gehofft, Sammy und
dir eine freudige Überraschung zu bereiten. Sammy ist
zeitig zurückgekommen. Offenbar hat sie meine Nachricht
nicht gefunden und wußte daher nicht, daß du hier bist. Ich
habe sie eingeladen, mit uns zu essen, aber sie hat mir
eben am Telefon gesagt, daß sie sich nicht besonders fühlt.
Ich hab ihr erklärt, daß du jetzt im Speisesaal bist. Sie
kommt dann nach dem Dinner in deinen Bungalow.»
«Ist sie krank?» erkundigte sich Elizabeth besorgt.
«Sie hat eine lange Fahrt hinter sich. Trotzdem sollte sie
was essen. Ich wünschte, sie hätte sich dazu aufgerafft.»
Min wollte eindeutig jede weitere Diskussion unterbinden.
Elizabeth beobachtete Min, wie sie mit geübtem Blick
alles scharf überwachte. Wehe dem Kellner, der sich auch
nur die geringste Unkorrektheit zuschulden kommen ließ,
der mit dem Geschirr klapperte oder etwas verschüttete
oder an den Stuhl eines Gastes anstieß. Ihr fiel ein, daß es
Min gar nicht ähnlich sah, Sammy an ihren Tisch zu
bitten. War es denkbar, daß Min hinter ihrem Wunsch, auf
Sammy zu warten, einen besonderen Grund vermutete und
den erfahren wollte?
Und war es möglich, daß Sammy diese Klippe geschickt
umschifft hatte?
«Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.» Alvirah
Meehan zog den Stuhl unter dem Tisch hervor, ehe der
Kellner ihr dabei helfen konnte. «Die Kosmetikerin hat
mich extra für den Abend zurechtgemacht, nachdem ich
mich angezogen hatte», verkündete sie strahlend. «Na, wie
gefällt’s Ihnen?»
Alvirah trug einen beigefarbenen Kaftan mit rundem
Halsausschnitt und brauner Perlenstickerei, der sehr
kostspielig aussah.
«Den hab ich in der Boutique gekauft», erklärte sie. «Sie
haben da wirklich hübsche Sachen. Und ich hab alles, was
mir die Kosmetikerin empfohlen hat, mitgenommen. Sie
war so hilfsbereit.»
Als Helmut am Tisch erschien, beobachtete Elizabeth
innerlich erheitert Mins Gesicht. Man wurde ausdrücklich
eingeladen, sich zu Min und Helmut zu setzen – eine feine
Nuance, die Mrs. Meehan weder kennen noch verstehen
konnte. Min könnte ihr das erklären und sie an einem
anderen Tisch plazieren. Andererseits bewohnte
Mrs. Meehan den teuersten Bungalow, kaufte
offensichtlich alles, was ihr vor die Augen kam, so daß es
äußerst unklug wäre, sie zu beleidigen. Min rang sich ein
gequältes Lächeln ab. «Sie sehen bezaubernd aus», teilte
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