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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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denn?«
    »Die Armreifen.«
    »Ich streife sie nicht ab. Schäm dich.«
    »Ich habe gesagt, ›Streif sie ab.‹«
    Er war wahnsinnig geworden. Ich glaubte zu träumen. Rabiat packte er meinen Arm und zog an den Reifen. Den Armreifen, die mir meine Schwester zur Trauung geschenkt hatte. Meine Handgelenke waren zerschrammt. Ich sagte, »Warte, ich streife sie selber ab.«
    Er ließ meine Hand los, »Streif sie ab. Ich sag’s dir im Guten.«
    Ich zog die Armreifen aus und warf sie in seine Richtung, »Nimm sie und zieh Leine.«
    »Dein Vater soll Leine ziehen.« Ich ging auf ihn los, »Halt’s Maul. Erwähne den Namen meines Vaters nicht. Wasch dir dein Maul. Du bist es nicht mal wert, die Schuhe meines Vaters zu putzen. Nenn den Namen meines Vaters nicht in diesem gottverlassenen Haus, du unverschämter Nichtsnutz.«
    »Nichtsnutz ist dein Vater. Unverschämt ist dein Vater. Wenn er Anstand gehabt hätte, hätte seine fünfzehnjährige Tochter nicht mein Geschäft vernichtet. Dieser Hundesohn von einem Vater…«
    Ich schrie, »Ein Hundesohn bist du, daß du jeder läufigen Hündin nachrennst. Daß du wegen Koukabs Verschwinden deine Mutter anbellst.«
    Der Schlag ins Gesicht war so stark, daß ich ihn zunächst nicht spürte. Ich schwankte und stützte mich mit der Hand an der Wand ab. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet. Vielleicht hatte ich insgeheim noch gehofft, daß er es bereuen würde. Mit diesem Schlag stürzte ich vom Himmel auf die Erde. Ich war am Boden zerstört. Diese Ohrfeige hatte mir die Augen für die Realitäten geöffnet. Mich quälte weniger der Schmerz als der Kummer. Eine Weile langsah ich ihn fassungslos an. Mit einer Hand stützte ich mich an die Wand, mit der anderen hielt ich mein Gesicht. Ich sagte, »Recht hast du. Es war meine Schuld. Diese Ohrfeige hatte ich verdient. Es war ein übler Fehler, deine Frau zu werden. Aber ich werde keinen Augenblick länger in diesem Haus bleiben.«
    Seine Mutter erschien besorgt an der Zimmertür. Sie trug meinen Sohn auf dem Arm, der den Mund verzogen hatte und uns verschreckt anstarrte. Sein Kinn zitterte, und er war nah dran zu weinen. Er war ganz verängstigt. Rahim sagte, »Geh doch. Möchte mal sehn, wohin?«
    Ich sagte, »Du wirst schon sehen.«
    Seine Mutter sagte in einem Tonfall, der plötzlich weich geworden war, »Mahbub Djan, komm und sei vernünftig.«
    Rahim sagte, »Laß sie. Laß mich mal sehen, wie sie weg geht.«
    Ich eilte ins Schlafzimmer. Nahm meinen alten Koffer und warf ein wenig von meiner Wäsche und meinen Kleidern hinein. Ich legte mir das Kollier meines Vaters um und steckte mir den Ring an, den mir meine Mutter gegeben hatte. Ich nahm den Ashrafi, den mir Rahim zur Geburt meines Sohns geschenkt hatte. Er sagte, »Gib her.«
    Seine Mutter sagte, »Laß das, Rahim.«
    »Ich habe ihn ihr gegeben. Ich will ihn zurück.«
    Ich schleuderte den Ashrafi in seine Richtung. Er hob ihn sofort auf und steckte ihn zusammen mit den Armreifen in die Jacke. Ich ging zur Tür und nahm meiner Schwiegermutter mein Kind aus dem Arm. Ich nahm den Koffer auf, warf mir den Tchador über und verließ, unter der Last meines Sohns und des Koffers wankend, das Zimmer. Ich schlüpfte in die Schuhe. Einer von Rahims Schuhen lag vor mir. Die Ferse war niedergetreten. Erbost schleuderte ich ihn fort. Ich war wie er geworden. Der Schuh landete im Hof und blieb am Becken liegen. Ich mußte so schnell wie möglich fort. Fort, ehe ich mich in das Ebenbild dieser Mutter und dieses Sohns verwandelt hatte. Ich mußte fort, ehe ich unterging. Ich hatte Rahim nicht erziehen können, sondern war dabei, so wie er zu werden.
    Ich stand mitten auf der Treppe, als Rahim aus dem Zimmer kam. Barfuß rannte er mir hinterher, und als er sah, daß ich wegen der schweren Last die Stufen langsam hinabstieg, sprang er von der Treppe in den Hof und rannte zur Treppe des Korridors, der zurHaustür führte. Dort setzte er sich und versperrte mir den Weg. Die Arme hielt er vor der Brust verschränkt. Seine Mutter sagte, »Mahbube Djan, laß es sein. Gib auf.«
    Rahim sagte, »Misch dich nicht ein.«
    Ich kam bei ihm an und starrte sein wüstes Gesicht, starrte diesen niederträchtigen Taugenichts an. Jetzt erschien er mir wie ein gemeiner Lump. Ich sagte, »Verzieh dich. Laß mich gehn.«
    Er antwortete nicht und starrte mich unverwandt an, während er sein schamloses Maul aufgesperrt hatte.
    Ich sagte, »Geh beiseite. Ich will gehen.«
    »Du willst gehen? Einfach so? Hast

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