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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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dir meine Habseligkeiten aufgeladen und willst weggehen?«
    Ich sah auf den Koffer und setzte ihn heftig ab. »Nun verzieh dich endlich. Ich will gehen.«
    »Nun, das war die eine Hälfte, aber die wichtigere fehlt noch!«
    Entgeistert starrte ich ihn an. »Die wichtigere?«
    Ruhig stand er auf, nahm mir meinen Sohn aus dem Arm und stellte ihn behutsam an der Mauer auf den Boden. Er trat beiseite und deutete mit der Hand auf die Tür, »Nun können Sie gehen. Brrr…«
    Mir sank das Herz in die Knie. Mein Sohn weinte. Ich erstarrte zu Stein. Der Tchador glitt mir vom Kopf. Hätte ich seine Ränder nicht mit den Händen festgehalten, wäre er zu Boden gefallen. Ich ging zur Mauer und lehnte mich eine Zeitlang an. Fassungslos starrte ich ins Leere, konnte jedoch nichts sehen. Dann stieß ich mich von der Mauer ab. Ganz langsam ging ich mit schleppenden Schritten und den Tchador hinter mir her schleifend auf den Salon zu. Ich war seine Gefangene. Er hatte meinen Sohn als Faustpfand genommen, und der ganze Radau hatte nichts anderes zur Folge gehabt, als daß der Schleier der Scham und der gegenseitigen Achtung zerrissen war. Ich hörte seine Stimme hinter mir, wie er zu seiner Mutter sagte, »Nanneh, hör gut zu. Sie hat kein Recht mehr, das Kind außer Haus zu bringen. Auch zum Hammam muß Almass mit dir gehen. Hast du verstanden? Ya Ali, ich gehe.« Und er ging.
    Ich sehnte mich danach, aus diesem Albtraum zu erwachen und mich in meinem Elternhaus wieder zu finden. An dem Tag, als Ata od-Doules Sohn um meine Hand angehalten hatte. An dem Tag, als Mansur mich begehrt hatte oder jeder andere, jeder andere, der wieich war. In diesem Haus war ich eine Fremde. Ich verstand ihre Bedürfnisse und Grundsätze nicht. Mit ihrer Kultur war ich nicht vertraut. Was hatte ich mir bloß eingebrockt!
    Rahim kehrte drei Monate lang nicht nach Hause zurück. Er hatte mir seine Mutter dagelassen, damit sie mich wie eine barsche und grausame Gefängniswärterin bewachte. Damit sie meinen Sohn bewachte und in einem fort sagte, »Sie hat den Mann vertrieben…. Bete, daß er Koukab so schnell wie möglich satt hat und zurückkehrt. Hab keine Angst, er wird sie nicht heiraten. So einfältig ist er nicht. Er wird sie für eine Weile als Ssigheh-Frau nehmen, bis über die Sache Gras gewachsen ist.«
    Ich beachtete sie nicht. Für mich machte es keinen Unterschied, ob Rahim lebte oder tot war. Es machte auch keinen Unterschied, ob ich lebte oder nicht. Zu sterben wäre eine Erlösung gewesen. Aber was würde in diesem Fall mit meinem Sohn geschehen? Wie würde er sich entwickeln? Zu einem zweiten Rahim, einem Abbild seines Vaters? Ich war verzweifelt, und niemand war da, um mir zu helfen.
    Abends saß ich bis spät in die Nacht und stickte. Ich konnte nicht einschlafen. Morgens, wenn es dämmerte, sah ich vergrämt in den blauen Himmel, der mir grau erschien. Ich besaß keine Kraft mehr. Ich konnte mich nicht erheben. Als hätte ich die ganze Nacht hindurch im Steinbruch gearbeitet. Ich war bedrückt, weil ein neuer Tag begonnen hatte und ich meinen Kopf vom Kissen nehmen mußte. Erneut das Gesicht meiner Schwiegermutter sehen mußte, was für mich eine Strafe bedeutete. Wenn doch nur Nozhat dagewesen wäre und mir gesagt hätte, was zu tun wäre. Mir gesagt hätte, was ich ihr antworten sollte. Aber nein, mein Vater erlaubte es ihr nicht. Sie nahm auf ihren Ehemann Rücksicht. Würde ich sie je wiedersehen? Ich fragte mich, was ich in diesem Haus tat. Einsam, müde, abgestumpft, fern von Mutter und Vater. Nicht mal mein Ehemann war da. Hatte ich etwa mein Elternhaus verlassen, um mit einer alten Frau zu leben, die sich an meinen Qualen weidete? Die Reue trieb mich an den Rand des Wahnsinns.
    Die Amme kam und brachte mir das Geld. »Mahbube Djan, was ist geschehen? Geht es dir nicht gut?«
    Ich wünschte mir, jemandem mein Herz auszuschütten. Daß mich jemand besänftigte. Daß mich jemand tröstete und mir die Tränen vom Gesicht wischte, die flossen, sobald ich den Mund öffnete.Sorgenvoll mein zitterndes Kinn betrachtete und vor Kummer und Bedauern seufzte. Dazu war die Amme da, und sie schüttelte bekümmert den Kopf. Sie sagte, »Laß es sein und kehr in dein Elternhaus zurück…«
    »Was soll ich mit meinem Sohn tun? Ein Kind braucht einen Vater.«
    »Was willst du denn sonst tun?«
    »Ich warte ab. Er wird es bereuen. Es wird sich schon einrenken. Ich muß mich fügen und es ertragen. Alle Ehepaare streiten sich eben.«
    »Sei nicht

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