Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
so naiv. Sei einem ehrlosen Menschen gegenüber nicht so tugendhaft, Mahbube. Die Augen dieser Frau sprühen vor Gemeinheit. Zuviel Tugendhaftigkeit ist von Übel!… Laß es dir von mir gesagt sein.«
    Ich erzählte der Amme nicht, daß Rahim fortgegangen war. Erzählte nicht, daß er mich geschlagen hatte. Daß er mich ans Haus gekettet hatte. Ich sagte nur, wir hätten uns gestritten, und flehte sie an, meinem Vater nichts zu erzählen und es vor meiner Mutter zu verbergen.
    Der Frühling wollte nicht vorübergehen. Diese verdammte Jahreszeit endete nicht. Jeder Tag und jede Nacht beschworen schmerzlich und qualvoll meine Erinnerungen herauf. Jeder Augenblick verstrich wie unter Folter und Qualen. Wann würde dieser Frühling enden? Wann würde mich der Duft der Heckenkirsche in Ruhe lassen? Der Duft von Erinnerungen, die so bitter geworden waren. Ich träumte, ich stünde in Rahims Laden, leidenschaftlich und verzückt. Und er lächelte mich an, zärtlich und verliebt. Ein warmer Regen fiel auf mein Gesicht. Aber ein Laden besaß ein Dach. Nein, es war doch kein Regen. Ich weinte. Es waren meine Tränen, die so heiß waren. Nur meine Tränen konnten so brennen.
    Es wurde Frühsommer. Es war nachts. Ich saß in einer Ecke des Zimmers. In demselben, das ich sehnsüchtig den Salon nannte. Ich hatte die Petroleumlampe angezündet und den Docht hochgeschraubt, um besser sehen zu können. Ich stickte. Almass schlief an meiner Seite. Seine Großmutter kam die Treppen hoch und fragte, »Willst du nicht schlafen gehen?«
    »Nein. Wollen Sie das Kind nehmen oder es heute nacht bei mir schlafen lassen?«
    Seinen Namen brachte ich nicht über die Lippen. Mir ekelte vor dem Namen Almass. Für mich war er nur mein Sohn.
    Sie sagte, »Er schläft ja schon. Er kann hier bleiben«, und sie ging fort.
    Ich deckte meinen Sohn zu. Ich summte vor mich hin. Allmählich ergriff mich eine Art mystischer Unbekümmertheit. Der Kummer sank wie Weinstein auf den Grund meines Herzens, doch er verging nicht. Er war gegenwärtig. Bereit, wieder aufzusteigen und mich zu verzehren. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß. Die Haustür wurde geöffnet und geschlossen. Schritte ertönten. Mir sank das Herz, nicht aus Liebe, sondern vor Abscheu und Übelkeit. Es war Rahim. Fröhlich und munter, als sei nichts geschehen. Er stieg die Treppe hinauf und stand in der Tür. Sein Äußeres war neu und gepflegt. Er trug ein neues Paar Schuhe, und ich bemerkte überrascht, daß er die Hacken nicht niedergetreten hatte. Er sagte, »Salaam.«
    Ich antwortete, »Salaam.«
    Er stellte einen Fuß auf die Türschwelle und bückte sich, um seine Schnürsenkel zu lösen. Ruhig sagte ich »Rahim!« Er hob den Kopf und lächelte. Angewidert wandte ich mich ab und fragte ihn, während ich mit gesenktem Kopf weiter stickte, »Wo warst du bis jetzt? Wo auch immer du gewesen sein magst, kehr gleich dorthin zurück.«
    Er sagte, »Wird gemacht«, verknotete seine Schnürsenkel wieder und ging.
    Dieses Mal kehrte er sechs Monate nicht zurück. Als er kam, war mein Sohn fast drei Jahre alt, und es war keine Rede mehr von Koukab. Ich wußte, daß er die Zeitehe aufgelöst hatte.
    Ich wußte, daß er auch ihrer überdrüssig geworden war.
    Auch diesmal kehrte er nachts nach Hause zurück. Seine Mutter war aufgeblieben. Mein Sohn war wach und sah ihm ins Gesicht. Unverfroren fragte er seine Mutter, »Willst du nicht schlafen gehen?« Seine Mutter erhob sich von ihrem Platz. Rahim sagte, »Nimm auch dieses Anhängsel mit.«
    Er meinte unseren Sohn. Mein Herz war voller Haß. Er kam und setzte sich neben mich, »Mahbube Djan, du siehst immer noch hübsch aus!…«
    Ich blieb still.
    »Ich habe die Zeitehe aufgelöst. Bist du nun zufrieden?«
    Ich wunderte mich über seine Einfältigkeit und Naivität. Er wußte nicht, daß nichts das Herz einer betrogenen Frau zufrieden stellen kann. Nichts außer Rache. Nur wenn es ihr gelang, den Betreffenden zu bestrafen.
    Wenn sie schwieg, Nachsicht übte und sich unwissend stellte, geschah das, weil sie Rücksicht nahm auf Umstände, die stärker waren als ihre Rachegefühle. Der wichtigste davon war die Anwesenheit eines oder mehrerer Kinder, die auf die Mutter angewiesen waren, die ihre Daseinsberechtigung darstellten, die ihre Fürsorge benötigten. Doch eine betrogene Frau ist wie ein gefährlicher, untätiger Vulkan, der alles niederbrennt, wenn er die Möglichkeit findet auszubrechen. So heftig, daß er bei diesem Feuer auch selbst zu

Weitere Kostenlose Bücher