Der Morgen der Trunkenheit
Asche werden kann. Ein Feuer, das aus dem Herzen emporsteigt und das ganze Dasein verzehrt.
Er näherte sich mir und flüsterte mir ins Ohr, » Mein Herz verlier ich, ihr gottsuchenden Weisen .«
Ich zitterte vor Ekel. Davor, daß er in den Armen einer schmutzigen Frau gelegen hatte. Davor, daß er mich für so naiv hielt. Daß er sich erneut des Zaubers bedienen wollte, mit dem er mich verführt hatte. Ich haßte ihn und dieses Gedicht, einfach alles. Ich stieß seine Hand zurück, die er nach mir ausgestreckt hatte, »Laß mich in Ruhe, Rahim. Rühr mich nicht an.«
Er hob die Stimme, »Willst du wieder einen Aufruhr veranstalten? Du hattest mich begehrt, jetzt bin ich wieder da.«
Er war zu dumm, als daß er meine tiefe Verwundung bemerkt hätte. Wie sehr sehnte ich mich, ihm zu sagen, ›Ich will dich nicht mehr. Der Rahim, den ich begehrte, ist gestorben. Ich wollte den jungen Mann, der anständig und ehrlich war. Der in Liebe zu mir entbrannt war. Der einfach und bescheiden war, ohne Ansprüche. Wie ich selbst.‹ Und daß ich den, den ich an seiner Stelle sah, diesen Wolf, diesen Aasfresser, der hier vor mir saß und schamlos lachte, niemals begehren würde. Daß ich ihn satt hatte und haßte. Doch ich traute mich nicht. Ich besaß nicht die Kraft. Ich war nicht in der Verfassung, Prügel zu beziehen. Ich scheute den Krach und den Aufruhr. Also ging ich wie ein ruhig und folgsam zur Schlachtbank trottendes Schaf mit ihm ins Nebenzimmer.Niemand sah mehr mein Lachen. Meine größte Freude – falls überhaupt von Freude die Rede sein konnte – äußerte sich in einem gequälten Lächeln. Mein Sohn war ständig auf der Gasse unterwegs und wälzte sich mit zwei oder drei seiner Altersgenossen in Dreck und Staub. Gegen ihn und seine Großmutter konnte ich mich nicht durchsetzen. Ich war vollkommen besiegt. Zu den Tatsachen, die die Großmutter mit Stolz erfüllten, gehörte, daß ihr Enkel mit dem Sohn des Gewürzhändlers Agha Sseyyed Ssadegh spielte, der ein verhältnismäßig großes Haus in der Gasse neben unserem Haus besaß. Schon morgens schickten sie ihre Dienerin an unsere Haustür, »Veranlassen Sie, daß Almass kommt, um mit unserem Agha Morteza zu spielen.«
Ich sagte, »Nein, er darf nicht. Ist mein Kind etwa ein Ammenkind? Ist er etwa eine Amme, die man beschäftigt? Lassen Sie ihn nicht gehen.«
Sie hob die Brauen, »Pah! Was für Mätzchen! ›Eitel und blasiert, sich vor allem ziert.‹ Sein Agha hat gesagt, er darf gehen. Rahim hat es erlaubt. Der Mensch ist Gewürzhändler im Bazar. Nicht zu verachten. Er hat großen Einfluß. Wer sind wir schon? Warum soll Almass nicht hingehen, damit ich den Kopf frei habe und meine Arbeit erledigen kann?«
»Chanum, ich werde mich selbst um ihn kümmern.«
»Wenn du dich selbst um dein Kind kümmern könntest, täte es mir nicht so leid.« Mein Sohn rannte fröhlich davon und kehrte, was schlimmer war, mit Taschen voller Zucker und Kandis zurück. Meine Schwiegermutter fragte ihn, »Laß mich mal sehen, was haben sie dir gegeben?«
Ich trotzte und kaufte große Mengen Zucker und Kandis. Ich holte das Naschwerk und die Konfitüren hervor, die die Amme aus meinem Elternhaus mitgebracht hatte, häufte alles in ein Gefäß und stellte es mitten ins Zimmer. Sie aßen davon nach dem Mittagessen oder gegen Abend, aber offenbar wurde keiner von beiden davon satt. Offenbar genossen sie all dieses Naschwerk nicht so sehr wie jene Handvoll Zucker und Kandis. Ich sorgte mich um die Zukunft meines Sohnes.
Die Amme kam. »Liebe Amme, was gibt’s Neues?«
»Nur Gutes. Nozhat hat endlich entbunden, Zwillinge. Zwei Mädchen, hübsch wie ein Strauß Blumen. Chodjasteh Chanumspielt Klavier, daß es eine Freude ist. Du müßtest sie sehen und hören. Manuchehr ist so reizend geworden, daß du es dir nicht vorstellen kannst, tausend Mal mashallah. Dein Agha Djan sagt, ›Setz deine Füße nicht auf den Boden, sondern auf meine Augen.‹ Als hätte dieses kleine Kind vierzig Jahre gelebt, so höflich und mustergültig…«
Ich hatte Sehnsucht nach allen. Ich verzehrte mich nach einem Wiedersehen. Nach Nozhat und ihren Kindern. Nach dem Klavierspiel von Chodjasteh. Nach Manuchehr, dessen Gestrampel und fröhliches Lachen in Onkelchens Garten mir noch vor Augen waren.
»Was sonst noch, liebe Amme?«
»Sonst noch? Daß dein Cousin Hamid Chan opiumsüchtig geworden ist. Tag und Nacht sitzt er am Holzkohlenbecken. Alles, was er in die Finger bekommt, stopft er in den
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