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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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verbrochen!Wieder fehlte mir morgens die Kraft zum Aufstehen. Als wäre ich eine Leiche. Ich sah Rahim nicht ins Gesicht. Ich betrachtete mich im Spiegel und erschrak über meine Gesichtsfarbe. Selbst einem Kind würde mein erbarmungswürdiger Zustand auffallen. Erstaunlich nur, daß diese Geschöpfe, die sich wie Würmer umeinander schlängelten, dieses Volk, das von moralischen Grundsätzen meilenweit entfernt war, mich scheinbar nicht sah und meinen Zustand nicht bemerkte. Daß sie mein Schweigen und meine Gleichgültigkeit nicht bemerkten. Sie saßen am Futtertrog. Ich war die Henne, die für sie goldene Eier legen sollte. Das genügte ihnen.
    Es war der dritte Tag. Ich war in der Küche und vertrieb mir nutzlos die Zeit. Beschäftigte mich. Rahim stieg die Stufen herab. Er wollte mit mir sprechen. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen. Prompt ertönten im Hof auch die Schritte seiner Mutter. Sie kam und stellte sich ans Ende der Küchentreppe. Sie stützte sich mit der Hand am niedrigen Kuppeldach des Treppenhauses ab und lauschte. Rahim sagte bittend, »Mahbube Djan, lad sie ein, auch heute nacht zu bleiben.«
    »Tu es doch selbst. Was habe ich hier zu entscheiden!«
    »Solange du sie nicht einlädst, werden sie nicht bleiben.«
    Ich wandte ihm den Rücken und sagte, »Gestern nacht sind sie doch ohne weiteres ungebeten geblieben.«
    »Aber jetzt will der Cousin fortgehen.«
    Höhnisch fragte ich, »Jetzt? Kurz vor Mittag? Ist es jetzt Zeit, nach Varamin zu fahren? Hab keine Angst, sie werden sich selbst einladen. Selbst, wenn du ihnen sagen würdest, sie sollten gehen, würden sie hierbleiben.«
    Seine Mutter hinkte lärmend die Stufen hinunter und sagte wütend, »Was heißt das, sie soll sie einladen, hierzubleiben? Vor lauter Heben und Abstellen der Töpfe bin ich ganz zerschlagen. Sie haben sich hier schön breit gemacht.«
    Zum ersten Mal wollte ich sie umarmen und ihr faltiges Gesicht küssen. Sie erschien mir wie ein Engel, den Gott mir vom Himmel geschickt hatte. Rahim wandte sich an seine Mutter und hob die Stimme, »Was geht dich das an? Nicht nötig, daß du die Töpfe trägst!«
    Wenn es um seinen Vorteil ging, vergaß er sogar seine Mutter und die Achtung ihr gegenüber. Er verstand es sehr gut, seine Mutter zurechtzuweisen.Seine Mutterliebe erwachte nur dann, wenn es sich um mich handelte. Ich sprach kein Wort. Ich sagte nicht mehr, ›Seid still, sprecht leise‹, oder, ›Es gehört sich nicht, die Gäste werden es hören.‹ Da ich für diesen Krach nicht verantwortlich war. An Gastfreundschaft hatte ich es nicht mangeln lassen. In keiner Hinsicht!
    Seine Mutter fragte, während sie den Hals verdrehte und die Hüften schwang, »Was ist denn passiert, daß sich der Herr auf einmal so für den Cousin zerreißt?«
    Rahim bemerkte ihren Seitenhieb und sagte, »Halt die Klappe.«
    Ich widmete mich dem Anfachen des Brennholzes unter dem Topf.
    »Ich werde sie nicht halten. Ich bin völlig erledigt. Sieh nur, was die Wanzen nachts in der Vorratskammer mit mir angestellt haben!«
    Sie zog einen Ärmel bis zum Ellbogen hoch. Tatsächlich hatten die Wanzen ihr übel zugesetzt. Ihr Arm war über und über mit roten Pusteln übersät und angeschwollen. Sie fuhr fort, »Sie haben mich bei lebendigem Leib aufgefressen. Bis zum Morgengebet laufe ich nachts umher. Kratze mich an Kopf, Brust und Rücken. Ich sag’s dir, Rahim, wehe, wenn du sie einlädst!… Und wenn sie selber bleiben wollen, werde ich heute nacht bei Koukab im Salon schlafen.«
    Ich empfand Schadenfreude. Der Cousin und seine Sippe gingen, und Rahim ging mit, um sie auf den Weg zu bringen.
    Es war Mittag geworden. Ich saß mit meiner Schwiegermutter im Zimmer. Plötzlich fragte sie unvermittelt, »Mahbub, wie blaß du bist! Wie bekümmert du wirkst!«
    In der Annahme, daß sie – in ihrem Ärger über den Cousin wegen der Wanzenbisse – Mitgefühl für mich empfinden würde, öffnete ich ihr mein Herz. Ich brach in Tränen aus und sagte, »Es ist wegen Rahim.«
    »Rahim? Was hat er denn angestellt?«
    Schluchzend sagte ich, »Was er angestellt hat? Nachts ist er zu Koukab gegangen.«
    Ich sagte es und bereute es. Meine Schwiegermutter riß die Augen auf, »Pah, was redest du da? Willst du mir jetzt Lügenmärchen aufbinden?«
    »Es ist kein Lügenmärchen, Chanum. Welches Lügenmärchen? Es ist eine Schande.«
    »Nein, meine Liebe. Das hast du dir eingebildet. Weder Rahim ist dazu fähig, noch Koukab.«
    »Ich habe es selbst gesehen,

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