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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Sagten dauernd ›Kleine Dame‹.
    Als sich mein Vater nach dem Mittagessen neben meine Mutter setzte und nach Tee verlangte, sagte er zu mir: »Mahbub Djan, bringst du mir eins deiner Baqlavas zum Essen?«, und er lächelte.
    Mein Vater nannte mich stets Mahbube oder Mahbub, Djan verwendete er seltener. Das Baqlava-Gefäß stand etwas entfernt auf dem Boden. Dein Baqlava bedeutete das Baqlava deiner Hochzeit. Das war ein Anzeichen dafür, daß mein Vater sich über diesen Bräutigam freute und mit ihm zufrieden war. Mit beiden Händen hielt ich das Gefäß vor ihn hin. Er nahm und klopfte mir ein paarmal sanft auf die Schulter. Mein Vater war ein milder und gütiger Mann.
    Eine Stunde vor Einsetzen der Abenddämmerung klopfte es, und sie kamen. Mit der Kutsche des Bräutigams, die sie uns vorführen wollten. Eine russische Kutsche mit zwei kristallenen, verspiegelten Kerzenlaternen. Sie war glänzend schwarz, mit roten Rädern. Die Sitze aus Ziegenleder, weich gepolstert. Zwei Pferde von gleicher Farbe und Größe. Beide jung. Ein Fuhrmann mit gezwirbeltem Schnurrbart, der eine Fellmütze trug, obwohl es Frühling war und auf die warme Jahreszeit zuging, und ebenso glänzend und geschniegelt wirkte wie die Kutsche. Aufrecht saß er auf seinem Kutschbock und blickte geradeaus, als ob er die Würde dieses Anblicks noch deutlicher zum Ausdruck bringen wollte.
    Meine Schwester und ich, wir hatten uns im Nebenzimmer versteckt. Chodjasteh kicherte, und ich beschimpfte sie. Ständig sagte ich, sie solle die Klappe halten, uns nicht blamieren. Doch wie konnte ich sie bändigen?
    Sie hatten im Seitenzimmer den Tchador abgenommen und waren in das Fünftüren-Zimmer eingetreten. Ich sah es durch das Loch am Rand des farbig verglasten Fensters, das etwas gesprungen war. Die Mutter des Bräutigams war dick, alt, arrogant, rundum mit Schmuck behangen, doch gehörte sie zu den leutseligen Prinzessinnen mit guten Umgangsformen. Ihre Tochter, also die Schwester des Bräutigams, und ihre Schwiegertochter, die die Ehefrau des älteren Bruders des Bräutigams war, trippelten wie Entenküken hinter ihr her. Und dahinter kam die schwarze Amme des Bräutigams, von hohem und kräftigem Wuchs. Sie war eine von diesen hübschen und gutaussehenden Schwarzen. Noch arroganter als die Mutter des Bräutigams. Ständig sagte sie ›Mein Sohn‹. Auch sie trug goldene Armbänder und hatte ihr Kopftuch mit einer goldenen Nadel unter dem Kinn befestigt. Sie plauderten mit meiner Mutter und setzten sich. Die üblichen Höflichkeitsformeln wurden ausgetauscht: »Herzlich willkommen; danke, daß Sie sich herbemüht haben; es ist uns eine große Freude. Es ist uns eine Ehre, Ihnen unsere Aufwartung machen zu dürfen; Sie haben uns beschämt; er ist Ihr Sklave. Sie ist ihre Sklavin; sie steht Ihnen zu Diensten.«
    Dann fragte die Mutter des Bräutigams: »Nun, wo befindet sich denn die Braut? Erlauben Sie, daß wir sie in Augenschein nehmen?«
    Meine Mutter sagte: »Ich bitte Sie, Chanum, verfügen Sie über uns. Sie wird Ihnen sofort ihre Aufwartung machen.«
    Meine Mutter verließ das Zimmer und sagte mit relativ lauter und förmlicher Stimme, so daß es auch die, die im Zimmer saßen, hören konnten: »Mahbub Djan, komm zur Prinzessin und mach ihr deine Aufwartung.« Dann lief sie rasch, aber geräuschlos in das Zimmer, in dem wir waren, und sagte leise: »Du hast Glück gehabt, Mahbube. Lauf und bring den Tee. Aber schütte nichts auf das Tablett! Und daß er ja heiß ist!«
    Meine Mutter betrat das Zimmer, und zwei Minuten später ergriff ich mit zitternden Händen das Tablett, das die Amme vorbereitet hatte, und trat ein. Kaum hatte ich das Fünftüren-Zimmer in all seinem Glanz betreten, als ich begriff, welch einfältige und vergebliche Einbildung der Gedanke an den Schreiner war. Es schien, als ob mir der Abstand zwischen ihm und mir vor Augen stünde. Ich? Ich, zu der derlei Lebensart, derlei Zeremonien und Ehemännergehörten? Zwischen uns lagen Welten. Als ob mich eine große Welle von meinem Traum fort und in die Welt der Realitäten trüge. Ich sagte: »Friede sei mit euch.«
    Die Prinzessin erwiderte: »Ausgezeichnet, Friede deiner hübschen Erscheinung. Was für eine gefällige Tochter Sie haben, Chanum. Mashallah, tausend Mal Mashallah.«
    Meine Mutter antwortete: »Sie steht Ihnen zu Diensten.« Während ich überhaupt keine Lust dazu verspürte.
    Ich bot den Gästen Tee mit der größten Sorgfalt an, der Wichtigkeit nach. Erst der

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