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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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scheinbar wohlwollend, »O weh, sieh nur, wie er dich zugerichtet hat! Mach ihn bloß nicht wütend! Sonst schlägt er dich noch zum Krüppel. Das hat er von seinem Vater geerbt. Er ist jähzornig. Geh und überschreib das Haus auf seinen Namen und mach Schluß mit diesem Ärger. Wallah, ich will für euch beide nur das Beste.«
    Rahim trat schlurfend ein, »Nanneh, es nützt nichts, wenn du ihr gut zuredest. Die ist dickköpfig. Die läßt sich nicht breitschlagen. Geh beiseite, die versteht nur eine Sprache.« Er pflanzte sich breitbeinig neben mir auf und stemmte die Hände in die Hüfte. Er fragte, »Überschreibst du das Haus auf meinen Namen?«
    Ich antwortete nicht. »Hatte ich nicht mit dir gesprochen? Hockt da wie ein Trauerkloß und stiert vor sich hin. Ich hatte gefragt, ›Überschreibst du das Haus auf meinen Namen?‹«
    Ich hob den Kopf. Meine Lippe brannte. Offenbar war sie geschwollen. Ich sagte, »Nein.«
    Er trat mir gegen das Bein, »Nicht zu fassen, dieses Weibsbild! Sieh sie dir an, wie eine Aussätzige. Es ist eine Strafe, sich ihre Visage ansehen zu müssen.« Er wandte sich an seine Mutter, »Nanneh, ich geh. Wenn ich zurückkehre, hast du diese Teppiche zusammengerollt. Ich will sie verkaufen. Ich brauche Geld.«
    Er setzte sich in Bewegung. Seine Mutter fragte, »Willst du kein Frühstück?«
    »Gib es der zu essen, damit sie noch bissiger wird.«
    Ich wußte, daß Kollier, Fingerring und mein Geld in seiner Jakkentasche waren. Er ging bis zur Mitte der Treppe, kehrte jedochzurück und betrat das Zimmer, in dem wir schliefen. Er nahm die Lampen mit den tulpenförmigen Schirmen aus der Wandnische und sagte beim Gehen zu seiner Mutter, »Die nehm ich auch mit. Ich brauche Geld.« Als hätte ihn jemand um eine Erklärung gebeten.
    Ich blieb an meinem Platz sitzen, starr und ohne ein Wort zu sagen.
    Seine Mutter sagte, »Bist du nun zufrieden? Gleich wird er gehen und alles verkaufen. Bis zum Abend hat er die Hälfte für Schnaps und Wein ausgegeben.«
    Ich zuckte die Achseln. Sie setzte sich zum Frühstücken hin. Ich erhob mich, betrat das Nebenzimmer und schlug die Tür heftig zu. Ich konnte ihren Anblick nicht ertragen, geschweige denn, mit ihr Seite an Seite sitzen und frühstücken. Mein Gesicht schmerzte. Ich ging zum kleinen Spiegel in der Wandnische. Bei dem Anblick fuhr ich zusammen. Die ganze rechte Seite meines Gesichts hatte sich von der Ohrfeige der vergangenen Nacht blau verfärbt. Mein rechtes Auge war halb geschlossen und der Mundwinkel, den sein Fausthieb getroffen hatte, war angeschwollen und violett. Ich war entsetzt und wunderte mich, wie ich überlebt hatte. Ich wunderte mich, wie ich seine Fausthiebe und Fußtritte einigermaßen heil überstanden hatte. Mein rechtes Ohr schmerzte noch immer von seiner Ohrfeige. Die Stimme seiner Mutter ertönte, die wütend sagte, »Das Wasser des Samowars kocht. Alles ist bereit. Du kannst essen oder es sein lassen.«
    Ich hörte, wie sie das Zimmer verließ und die Treppe hinabstieg. Ein Geistesblitz durchfuhr mich. Ich hatte mich entschlossen. Eilig nahm ich meinen Koffer und warf meine Kleider und etwas Krimskrams hinein. Ich legte mein Buchsbaumkästchen samt Inhalt in den Koffer. Warf mir den Tchador über und ging die Stufen hinab. Meine Schwiegermutter sprang wie ein verwundeter Leopard auf und stemmte die Hände in die Hüften, »Gute Reise! Wohin, bitte schön?«
    »Ich will fortgehen. Ich hab es satt.«
    »Wohin gehen? Willst du einfach sang- und klanglos abhauen…? In diesem Haus herrscht Zucht und Ordnung. Hast du denn nicht gehört, was dein Ehemann gestern nacht gesagt hat?«
    »Welcher Ehemann? Ich habe keinen Ehemann mehr!«
    Sie machte große Augen, »Nein, so was! Das sind ja ganz neue Töne!«
    Ich ließ meiner Zunge freien Lauf und sprach aus, was mir seit Jahren auf dem Herzen gelegen hatte, »Dieser Nichtsnutz, dieser Unmensch ist nicht mein Ehemann. Ich schäme mich, ihn einen Mann oder Ehemann zu nennen.«
    Sie lachte, »Hast du etwas an seiner Männlichkeit auszusetzen?«
    »Nein, ich habe etwas an seiner Mannhaftigkeit auszusetzen. Seine Gemeinheit und Untüchtigkeit. Seine Gewalttätigkeit und Ehrlosigkeit. Du kannst nicht verstehen, was ich meine. Er auch nicht. Er hat es nicht gelernt. Von wem hätte er es lernen sollen? Von wem hätte er Edelmut lernen sollen? Recht hat er, wenn er nicht weiß, was Anstand bedeutet! Was Ehre bedeutet! Mich schwache Frau tritt er, aber vor den messerstechenden Brüdern

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