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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Zauber würde mich ergreifen, wenn ich sie öffnete. Ich würde nachgeben. Ich würde bleiben und dem Übel verfallen und könnte den Qualen und Schmerzen nicht mehr entfliehen. Ich weiß auch nicht, wie es kam, daß ich das Kästchen plötzlich unter den Arm nahm. Ich zog mir den Tchador wieder über den Kopf und ging die Treppe hinunter – mit diesem Buchsbaumkästchen, das du hier siehst. Sobald ich die Hofmitte erreicht hatte, erschien meine Schwiegermutter, wie ein Geist aus der Flasche, dem man das Haar angezündet hat, und setzte sich auf die Treppe zum Korridor.
    »Du bist ja schon wieder unterwegs, Mädchen! Schämst du dich gar nicht? Die Prügel, die du gestern bezogen hast, hätten einen Elefanten umgeworfen. Hast du noch immer nicht genug?«
    Ich sagte, »Geh beiseite. Laß mich vorbei.«
    »Ich geh nicht.«
    »Ich hab doch meinen Koffer im Zimmer gelassen. Nun laß mich gehen.«
    »Was ist denn das da unter deinem Arm?«
    »Das gehört mir. Es geht dich nichts an.«
    »Alles, was in diesem Haus ist, gehört meinem Sohn und geht mich sehr wohl etwas an.«
    Ich sagte, »Gott sei Dank hat dein Sohn nichts übriggelassen, das dir oder mir gehören würde. Ich sagte, ›Geh aus dem Weg.‹«
    Mit ihrer schrillen Stimme schrie sie, »Schämst du dich nicht? Unverschämtes Weibsbild! Würdest du dich, wenn ich beiseite gehen würde, mit deiner unbeschreiblichen Visage aus dem Haus trauen? Wallah, dein Anblick ist eine Schande. Denkst du…«
    Ich fiel ihr ins Wort und fragte ruhig, »Also willst du nicht Platz machen?«
    »Nein.«
    Ich bückte mich langsam und stellte das Kästchen auf dem Treppenabsatz ab. Ich nahm den Tchador ab, faltete ihn und legte ihn aufs Kästchen. Dann wandte ich mich ihr zu. Ich streckte die linke Hand aus, packte ihr vom Kopftuch bedecktes Haar und knurrte durch die zusammengebissenen Zähne, »Hatte ich nicht gesagt, geh beiseite?«
    Mit aller Kraft zog ich sie an den Haaren hoch, so daß sie sich von der Treppe erhob und schrie, »Die Hand soll dir brechen.« Sie versuchte, sich zu verteidigen und mich zu kratzen. Mit der Rechten packte ich ihre Hand und biß so kräftig hinein, daß ich dachte, meine Zähne würden in ihrem Fleisch aufeinanderstoßen. Wie ich es genoß. Sie stieß einen Schrei aus, daß man ihn sicher sieben Häuser weiter noch hörte. Daraufhin ließ ich sie los, nicht aus Furcht vor ihrem Geschrei, sondern weil ich es so wollte. Die Spuren meiner Zahnreihen hatten sich deutlich in ihr Handgelenk eingegraben. Mit der anderen Hand rieb sie sich die Bißstelle, und beide gleichzeitig bemerkten wir meine körperliche Überlegenheit. Sie war klein und schmächtig. Wie ein dreizehnjähriges Kind. Und ich wunderte mich, wie sehr ich mich all die Jahre vor dieser kleinen Gestalt gefürchtet hatte. Ich wußte nicht, weshalb ich es nicht eher getan hatte! Sie begann zu schreien, zu jammern und zu fluchen. Ich sagte, »Halt den Mund. Halt endlich den Mund…« Ich konnte ihre Schreie nicht ertragen. Wie Hammerschläge durchfuhren sie meinem Kopf. Wieder sagte ich, »Wirst du endlich deinen Mund halten?«
    Ich preßte ihr die eine Hand kräftig auf den Mund und packte sie mit der anderen am Nacken. Vor Angst waren ihr die Augen aus den Höhlen getreten. Ich schleifte sie zur linken Seite des Hofs, wo man einst den Leichnam meines Sohns aufgebahrt hatte, und stieß ihren Rücken heftig an die Mauer. Ich wollte, daß sie ohne meine ausdrückliche Aufforderung begriff, daß sie sich auf den Mauervorsprung setzen sollte, und trat ihr, da sie es nicht tat, von hinten gegen die Fußknöchel. Ihre Beine fuhren nach vorn. Wie ein Fisch entglitt sie meinen Händen. Ihre Hüfte prallte zunächst gegen den Vorsprung und glitt daran ab. Dann stürzte sie zu Boden. Jammernd sagte sie, »Au, ich hab mir alles gebrochen. Au, ich hab mir die Hüfte an der Mauer geschrammt. Ich bin ganz wund. Dubringst mich noch um. Fahr zur Hölle.« Und sie brach in Tränen aus.
    Sie jammerte und wehklagte lauthals. Sie schlug sich mit der Faust auf die Brust und fluchte. Ich hockte mich vor sie hin. Wie eine Lehrerin, die ihrer ungehorsamen Schülerin droht, fuchtelte ich mit dem Zeigefinger vor ihrem Gesicht herum und sagte, »Hatte ich nicht gesagt, du sollst den Mund halten? Sagte ich nicht, du sollst keinen Laut von dir geben? Hatte ich es nicht gesagt?« Und hielt ihr erneut heftig den Mund zu. Meine Kraft hatte mich ermutigt, und ich genoß es. Wieder weinte sie, diesmal aber lautlos.
    »Heul

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