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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Ma’sumes hat er Respekt. Vor einer Frau läßt er die Muskeln spielen, aber wenn Männer ins Spiel kommen, versteckt er sich hinter dem Rock seiner Mutter. Dann wird er ganz fügsam. Friedlich und lammfromm. Seine Mannhaftigkeit erschöpft sich in Schnauzbart und Anzug.«
    Ich siezte meine Schwiegermutter nicht mehr. Ich nannte sie nicht mehr Chanum, da sie keine war. Diese Anrede verdiente sie nicht. Sie war Ziwar, die Band-Andaz. Ich wollte vor der Wahrheit nicht länger die Augen verschließen. Es war nicht länger nötig, den guten Ruf meines Sohns dadurch zu wahren, daß ich seine Großmutter als respektabel hinstellte. Es gab keinen Sohn mehr. Oder vielleicht auch nur aus dem einfachen Grund, daß ich mich ihnen angeglichen hatte. Ich hatte von ihnen gelernt. Ich hatte ihre Sprache gelernt. Ich hatte Gut und Böse vergessen. Ich hatte den Sinn für normale Umgangsformen und würdevolles Verhalten verloren.
    Sie setzte sich auf den Treppenabsatz und sagte, »Hast du den Hausstand meines Sohns zusammengepackt und willst gehen?«
    »Welchen Hausstand? Besaß dein Sohn etwa je einen? Als er mich heiratete, gab es nur ihn samt wollenem Umhang und einer Unterhose. Sollte er inzwischen einen Hausstand besitzen?«
    Gelassen erwiderte sie, »Du läßt den Koffer da und gehst dann.«
    Ich sagte, »Aber gern.«
    Ruhig kehrte ich um und stieg die Stufen hoch. Sie beruhigte sich, erhob sich und ging grollend davon. Ich betrat das Zimmer, das einst meine Liebeslaube gewesen war. Ich staunte über meineRuhe und Kaltblütigkeit. Ich schloß die Tür. Ich war erst jetzt zur Besinnung gekommen. Was wolltest du aus diesem Haus mitnehmen, Mahbube? Wie kannst du es über dich bringen, noch einmal diese Kleider anzuziehen? Diese Schuhe anzuziehen? Dir diese Haarnadeln ins Haar zu stecken? Was willst du mit all diesen Dingen, die von deinem Leben mit diesem nichtsnutzigen Tier zeugen? Wozu brauchst du diese Sinnbilder verschenkter Jugend, zerstörter Hoffnungen, von verletztem Stolz und Gefühlen? Vernichte sie, vernichte alles.
    Ich nahm die Schere. Ich öffnete den Koffer und zerschnitt jedes Kleid einzeln, zerriß es dann und warf es auf den Boden. Meine Schuhe konnte ich nicht zerschneiden. Ich nahm eine Rasierklinge und schnitt die Ränder ein. Ich schnitt mich, aber es war, als würde ich es nicht spüren. Ich raste. Ich zog das Matratzenbündel in die Mitte des Zimmers, löste jedoch nicht den Knoten des Überwurfs, sondern zerfetzte ihn mit der Rasierklinge. Ich zog die Decken und Matratzen heraus und fiel mit Schere und Rasierklinge über die Satinüberzüge her. Dann wandte ich mich den Matratzen zu. Ich zerfetzte sie mit einer Wonne, als wären sie Rahims Schlagader. Als wären sie die Zunge meiner Schwiegermutter. Als wäre es meine Brust oder mein schlummerndes Glück. Ich murmelte, »Von wegen. Denkst du, ich würde sie dir überlassen? Da hast du dich aber gründlich verrechnet.«
    Dann fiel ich mit derselben Rasierklinge über die Wollteppiche her. Gebückt schritt ich sie ab, schnitt mit der ganzen Kraft meiner rechten Hand hinein und genoß es. Ich freute mich auf Rahims Reaktion, seine Sprachlosigkeit, seinen Zorn und seine Ohnmacht. Das Lächeln der Rache lag auf meinen Lippen. Auf meinen blau verfärbten und geschwollenen Lippen und auf meinem zerschundenen Gesicht.
    Ich hob den Samowar auf. Er war noch heiß. Ich kippte das Wasser über dem Bettzeug und den Teppichen aus. Die Kohlen fielen aus dem Rauchabzug des Samowars auf das zerfetzte Bettzeug. Ich nahm meinen schwarzen Taft-Tchador aus Yazd und faltete ihn. Ich wußte, daß meine Schwiegermutter ein Auge auf ihn geworfen hatte. Um mir die Hand nicht zu verbrennen, hob ich mit dem Tchador die Kohlenstücke einzeln auf und warf jedes Stück auf einen anderen Teppich. Die Teppiche rauchten an verschiedenenStellen. Der schwarze Tchador war vor Hitze zerlöchert. Ich stellte mich hin und sah zu. Mein Blick fiel auf das Buchsbaumkästchen. Sollte ich es zerbrechen? Ich wollte es ebenfalls verbrennen. Meine Vergangenheit damit begraben. Aber ich sagte mir, Almass’ Nachtkäppchen ist darin. Es enthält die Erinnerung an jenen wunderbaren Frühling und an deine Rebellion. Deine jugendlichen Sehnsüchte sind in ihm verborgen. Behalte es als mahnende Erinnerung. Ich wollte es öffnen und Almass’ Nachtkäppchen herausnehmen, fürchtete mich jedoch. Ich fürchtete, es könnte die Büchse der Pandora sein, von der mir mein Vater erzählt hatte. Ich fürchtete, ein

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