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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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mich still an und sagte dann, »Du bist wirklich sehr hübsch.« Dann zog sie ein Päckchen unter ihrem Tchador hervor und reichte es mir, »Es ist nichts wert. Ein Mitbringsel aus Mashhad.«
    Es war Kandis und jede Menge Safran.
    »Vielen Dank. Sie haben sich Umstände gemacht.«
    Dann legte sie eine kleine Schachtel auf das Messingtablett, das auf dem Korsi lag. »Ich hätte Sie eher besuchen müssen, um Ihnenzu gratulieren. Aber leider war ich auf Reisen. Das ist nur ein unwürdiges Begrüßungsgeschenk. Bitte nehmen Sie es an.«
    Ich öffnete die Schachtel. In ihr lag ein goldenes Kollier. Es war ein Bestechungsversuch, die Ankündigung der Kapitulation. Es war das Geschenk eines schwachen Herrschers an einen siegreichen Sultan. Ich empfand Mitleid für sie. Leise murmelte ich, »Das war nicht nötig. Das war wirklich nicht nötig.«
    Plötzlich war das Haus vom Lärm der Kinder erfüllt. Die Söhne, ihr eigener und der Sohn der verstorbenen Ashraf, waren beide gleichermaßen sauber und ordentlich gekleidet. Sie machte keinen Unterschied zwischen ihnen. Ich begann zu zweifeln. Wer hielt die Trümpfe in der Hand? Sie oder ich? Auf meine Bitte hin schickte sie ihre Dienerin fort, damit sie Nahid brachte. Ich küßte die Knaben. Beide waren sie Lausbuben, doch sehr höflich. Ganz offensichtlich war die Dame, die für sie die Mutterpflichten übernommen hatte, ihrer Sache gewachsen. Man brachte Nahid und legte sie mir in die Arme. Ich wurde ganz schwach. Ich wünschte mir, sie würde mir gehören, sie würde mein Kind sein. Sie fremdelte nicht, sondern beugte sich zu dem Naschwerk auf dem Tisch vor und grapschte danach. Sie war so entzückend und bezaubernd, daß sie von jedem alles bekommen hätte. Die Knaben waren müde und gingen fort. Nahid schlief ein. Ich deckte sie mit der Decke des Korsi zu, damit sie sich nicht erkältete. Sie war fein und zart. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich mir wünschte, Nimtadj mein Herz auszuschütten. Ich sagte, »Sie haben es aber gut.«
    Sie war verblüfft, »Ich soll es gut haben?«
    »Ja, mit diesen zauberhaften Kindern, mashallah.«
    Ihre Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an, und sie verstummte. Dann zog sie sich behutsam den Tchador vom Kopf und sagte, »Sieh genau hin, damit du dich nicht bedauerst.«
    Ich zuckte zusammen. Wie hatten die Pocken sie zugerichtet! Auf ihrem Gesicht und ihrem Hals gab es bis hin zu den Ohrläppchen keine einzige heile Stelle. Am schlimmsten stand es um ihre Haare. Man konnte sie beinahe zählen. Die Ärmste hatte sie in der Hoffnung, daß sie dichter wuchsen, mit Henna bestrichen. Jetzt verstand ich sehr gut, weshalb Mansur mich gebeten hatte, mein Haar zusammenzubinden. Ich schämte mich. Ich fühlte mich wie ein Schuft. Ich schämte mich meines langen, fülligen Haars. Ich warvon ihrer starken und liebenswürdigen Persönlichkeit beeindruckt. Sie kam mir charakterlich überlegen und achtungeinflößend vor. Plötzlich schloß ich sie ins Herz. Man konnte nicht feststellen, ob sie in gesunden Tagen hübsch oder häßlich gewesen war! Nur ihre vollen und leicht aufgeworfenen Lippen waren halbwegs von den Pocken verschont geblieben. Sie lächelte schwach und fragte bekümmert, »Habe ich es noch immer gut?«
    Unwillkürlich sagte ich, »Ich bin ebenfalls lädiert. Ich kann keine Kinder mehr bekommen.« Meine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Ich weiß.« Sie verstummte. Dann sagte sie leise und mit gesenktem Kopf, »Ich bin mit einer Bitte zu Ihnen gekommen. Daß Sie mich nicht bei Mansur ausstechen, zumal ich nicht seine Lieblingsfrau bin, besonders jetzt, wo ich Sie gesehen habe. Ich habe Kinder. Lassen Sie es nicht zu, daß sie ihren Vater verlieren. Stürzen Sie uns nicht ins Elend. Das ist alles.«
    Trotz ihrer Häßlichkeit, trotz ihrer Not und Schwäche und obwohl sie mich anflehte, strahlte sie eine Würde aus, daß ich von ihrer Persönlichkeit in Bann gezogen wurde. Ich sagte, »Ich werde mich unterstehen. Ich wußte von Anfang an, daß Sie Kinder haben. Selbst wenn der Agha es Ihnen an etwas mangeln lassen wollte, würde ich es nicht zulassen. Erst soll er mich hinauswerfen, dann kann er mit Ihnen anstellen, was ihm gefällt.«
    Ich sprach aus tiefstem Herzen, es war keine Heuchelei oder Übertreibung. Ich traute mich nicht einmal, meinen Ehemann ihr gegenüber Mansur zu nennen. Ich wollte nicht, daß sie die Vertrautheit zwischen ihm und mir spürte. Ich wollte sie nicht leiden lassen. Sie sagte, »Denken Sie bloß nicht, ich

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