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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Wahl sein würde. Diesmal wollte ich vernünftig und besonnen sein und dem Rat meiner Eltern folgen. Sie erwarteten von mir, für den Rest meines Lebens die Kleine Chanum zu sein. Es blieb mir nichts anderes übrig, schließlich war es besser als Einsamkeit. Für diese Erkenntnis hatte ich einen hohen Preis zahlen müssen. Ich schickte Mansur die Nachricht, »Ich werde deine Frau.«
    Er ließ auf dem Ehevertrag drei Dong des Gartens in Shemiran als Brautgeld auf meinen Namen eintragen. Aber weh mir, von einem Hochzeitsfest war nicht die Rede. Wegen Nimtadj konnten wir nicht feiern. Es hätte ihr das Herz gebrochen. Das war mehr, als siehätte ertragen können. Eines Abends kamen der Onkel und seine Frau, die Brüder und Schwestern, die Cousinen und Cousins mit ihren Ehegatten und Kindern und die Tanten mütterlicherseits und väterlicherseits ohne Anhang uns besuchen, wie zu einem Fest. Ich bewirtete sie zusammen mit der Amme. Wir saßen zusammen und plauderten und lachten. Wir tranken Tee und aßen Kuchen, und der Geistliche kam und traute uns. Meine Sehnsucht nach einem Hochzeitsfest blieb abermals unerfüllt.
    Mansur brachte mich zu seinem Haus im Garten in Shemiran. Das stattlichere Gebäude im nördlichen Teil des Gartens gehörte Nimtadj und ihren Kindern. Mansur brachte mich zum südlichen Teil, wo ein hübsches neugebautes Häuschen mit zwei, drei Zimmern stand, das vom Hauptgebäude rund hundert Meter entfernt war. Dazwischen befanden sich ein gefülltes Wasserbecken, Obstbäume und ein paar Beete vor dem nördlichen Gebäude und ein Beet vor dem südlichen Haus. Letzteres hatte man für Ashraf Chanum gebaut. Es wurde mein Zuhause.
    Nimtadj war nicht zu Hause. Sie war mit ihren Kindern für einen Monat auf Wallfahrt nach Mashhad gegangen. Ich wußte, weshalb. Sie hatte das Haus uns überlassen. Ich wußte, welcher Aufruhr in dieser Nacht, in der Mansur glücklich war, in ihrem Herzen tobte.
    In meinem kleinen Haus fehlte es an nichts. Entweder hatte mein Vater die Einrichtung als Aussteuer übergeben oder Mansur hatte sie angeschafft. Von meinem vorigen Haus unterschied es sich wie der Tag von der Nacht. Mansur war liebevoll und von mir hingerissen. Sein Entzücken erinnerte mich an meine Vergangenheit. Ich war freundlich zu ihm. Er tat mir leid. Ich empfand zwar nichts für ihn, und er war mir gleichgültig, doch bemühte ich mich, ihn es nicht merken zu lassen.
    Man hatte die Satin-Bettwäsche auf einem Bett mit Sprungfedern und bronzenen Füßen und Gitterstäben ausgebreitet. Ich stand am Fenster und betrachtete Nimtadjs Haus. Es bildete den Hauptteil des Anwesens. Mansur saß auf dem Bettrand und sah zu mir her.
    »Weißt du, Mahbube, nicht nur dein verwirrtes Haar, das dir auf die Schultern fällt, hat mir das Herz geraubt. Es ist nicht nur dein Gesicht, was so wunderschön ist. Du wirkst trunken wie ein Sufi.«
    Ich lachte und sagte, »In Gesellschaft bist du nie so überschwenglich,sondern kühl und mürrisch. Niemand würde glauben, daß Mansur auch solche Worte beherrscht. Erinnerst du dich an den Abend des Tchahar Shanbeh Ssuri? Du warst so ernst, steif und schlechtgelaunt, daß ich dich gern gefragt hätte, woran du denkst! Weshalb dich nichts auf der Welt interessierte? Was für Gedanken dich beschäftigten, daß du am Leben und der Freude der anderen nicht teilnehmen wolltest!«
    Er sagte, »Wirklich? Willst du es wissen? In dem Augenblick, in dem du über das Feuer sprangst, als dein Haar frei flatterte und dein Gesicht sich gerötet hatte, in dem Augenblick, als du mich nicht beachtetest, sah ich dich an, und du erschienst mir wie die Verkörperung dieses Gedichts:
    Trunken, das Haar verwirrt und offen das Gewand,
    Ghaselen auf deinen lachenden Lippen, eine Karaffe in der Hand
    und ich wußte, daß du mich insgeheim begehrtest, was du vielleicht selbst noch nicht wußtest.«
    Ich lachte geziert, »Was redest du da? Ich habe an dem Abend überhaupt nicht an dich gedacht.«
    »Weshalb hast du mich dann nicht beachtet? Weshalb hast du alle außer mir dazu ermuntert, über das Feuer zu springen? Weshalb neckten mich Chodjasteh und Nozhat, während du mich übersahst? Hätte es Leili nach anderen verlangt, weshalb zerbrach sie meinen Kelch?«
    Er lächelte und sprach sanft. Seine Stimme klang ernst und männlich und trotz aller Entschiedenheit tröstend.
    Ich wünschte, er würde weiterreden, und ich könnte zuhören. Den Gedichten von Hafis lauschen, die er mit sanftem, ruhigem Tonfall

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