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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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und erwiderte zornig, »Willst du mich tadeln? Willst du mir die Zeit, als ich fünfzehn war, unter die Nase reiben? Mein Vater hat mich nicht getadelt, wer gibt dann dir das Recht, es zu tun? Ich bekomme keine Kinder mehr. Freut es dich sehr? Brauchst du mich nur zu deinem Zeitvertreib? Für die Nächte? Zum Vergnügen? Damit ich die Geliebte der Nacht bin?«
    Ich wußte nur zu gut, daß ich nicht so sprechen durfte. Ich wußte, daß ich reichlich laut geworden war. Wie Rahims Mutterhatte ich geschrien und war ausfallend geworden. Aber ich konnte nichts dafür. Ich war mit den Nerven am Ende. Dennoch war es nicht nur der Zorn, der mich hatte laut werden lassen. Es waren nicht nur Kummer und Bedauern, obwohl ich unter dem Unglück, das ich mir selbst zugefügt hatte, litt und darüber klagte, daß ich mich verstümmelt hatte und keine Kinder mehr bekommen konnte. Dagegen rebellierte, daß Gott mich bestrafte. Aber das war es nicht allein. Während der sechs, sieben Jahre mit dem Schreiner Rahim hatte ich meine Lektion gelernt. Ich war eine eifrige Schülerin gewesen. Ich war streitsüchtig und gehässig geworden und beherrschte Schmähungen wie im Schlaf. Ich verlor rasch die Fassung und hatte meine einstige Gelassenheit und Selbstbeherrschung nicht mehr. Ich hatte wie mein ehemaliger Mann die guten Charaktereigenschaften verlernt. Ich war auf sein Niveau herabgesunken. Ich verschloß die Augen und sprach das aus, was mir über die Lippen kam.
    Mansur sah mir verblüfft in die Augen. Offenbar hatte er dieses Verhalten von mir nicht erwartet. Ich sah, wie in seinen Augen der Kummer aufblitzte. Ich sah, wie sein Kinn, das meinem glich, vor Bedauern zitterte. So wie mein Kinn vor Zorn zitterte. Er starrte mich an und sagte dann sehr bedächtig, »Wenn es dir gefällt, kannst du es so auffassen.«
    Plötzlich wünschte ich mir, er würde wieder meine Hand ergreifen. Er tat es nicht und sagte, »Denk gut darüber nach«, und ging.
    Meine Mutter freute sich, mein Vater freute sich, Onkelchen und seine Frau freuten sich. Ich wußte nicht, was tun. Ich erforschte mein Herz nach der Liebe zu Mansur, die nicht existierte. Nicht einmal von Zuneigung und Anziehung war die Rede. Denn schließlich besaß ich keine Gefühle mehr. Mein Herz war kalt, wie aus Stein. Täglich sagte ich mir hundert Mal, ich würde sagen, ›Nein, ich will nicht. Wozu sich grundlos versündigen? Ich begehre ihn doch nicht, weshalb sollte ich dann Nimtadjs Herz brechen? Weshalb sollte ich sie quälen?‹ Dann sah ich jedoch die sehnsüchtigen Blicke meiner Mutter und die Hoffnung in den Augen meines Vaters. Ihr erwartungsvolles Schweigen zwang mich dazu. Ich wollte ihnen nicht wieder Kummer bereiten.
    Wann immer das Gespräch auf Mansur kam, leuchteten die Augenmeiner Mutter, und mein Vater lächelte. Ich wußte, daß er meine Mutter gebeten hatte, mit mir darüber nicht zu sprechen. Mich nicht unter Druck zu setzen. Mein Vater war zu klug, als daß er mir eine Zwangsehe aufgenötigt hätte. Er fürchtete meine erneute Niederlage. Er sorgte sich um meine zerbrechliche Seele. Ich wußte jedoch, daß ich früher oder später heiraten mußte. Doch wen? Zweifellos hatte ich keine großen Aussichten mehr. Kein junger Mann hätte sich bereit gefunden, eine geschiedene Frau zu heiraten, die keine Kinder bekommen konnte. Der Grund dafür war nicht nur mein Jawort gegenüber Rahim, sondern auch, daß ich mit Roqieh in die Südstadt gegangen war und einen Teil von mir hatte entfernen lassen. Mit einer Hühnerfeder hatte ich mein zukünftiges Glück zerstört. Ich wußte nur zu gut, daß ich nie wieder so leidenschaftlich lieben würde, und hoffte, nie wieder solch bitteren Haß zu spüren.
    Jetzt, wo ich das leidenschaftlich Begehrte errungen und das enttäuscht und bestürzt Verworfene überwunden hatte, wußte ich, meine einzige Erlösung von diesem eintönigen Leben würde eine erneute Heirat sein. Die einzige Erlösung von der monotonen Wiederholung allmorgendlichen Erwachens und allabendlichen Einschlafens, von der Langeweile am Tag und nächtlichen Tränen, vom Gefühl der Leere und der Todessehnsucht. Obwohl ich mich in eine kalte und gefühllose Frau verwandelt hatte, wußte ich, Mansur würde der einzige Mann sein, den ich an meiner Seite ertragen konnte. Ich wollte zur Ruhe kommen. Ich suchte nach einem Lebensziel. Ich freute mich darauf, meine niedergeschlagenen Eltern zufriedenzustellen, und wußte bei vernünftiger Betrachtung, daß Mansur die beste

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