Der Morgen der Trunkenheit
Männergesellschaft, und Nozhat brannte darauf, sich selbst zu übertreffen. Als ob sie den Glanz und die Pracht des ersten Bräutigams dem zweiten unter die Nase reiben wollte. Wir mußten uns hinter der Tür verstecken, und ihn durch die Ritzen hindurch betrachten. Ich war dafür gerüstet, einen Fehler an ihm zu entdecken, um ihm daraus einen Strick zu drehen.
Es kam sehr oft vor, daß sich ein Freier als alt entpuppte. Zu meinem Unglück war dieser hier nicht alt. Ich wußte, daß sein Alter, wenn es hochkam, achtundzwanzig oder neunundzwanzig Jahre betrug. Also war er sicher dick oder glatzköpfig. Ach, hätte er doch nur eine Glatze. Oder wäre eingebildet und verzogen. Ein unnütz Verzogener, wobei letzteres am wahrscheinlichsten war. Vielleicht war er ungeschlacht und unhöflich. Vielleicht hatte er, weil er Sohn des Ata od-Doule war und eine Prinzessin zur Mutter hatte, weder etwas gelernt noch besaß er andere Fertigkeiten. O Gott, wenn doch nur neun von zehn seiner Worte leeres Geschwätz wären. Ich wußte, brächte ich jedes einzelne davon als Einwand vor, würde mein Vater sich ohne Wenn und Aber fügen. Insbesondere da er außerdem Witwer war und ein Kind hatte. Schließlich war mein Vater ein gebildeter Mann. Eine Tochter war für ihn keine Ramschware, die man billig verscherbeln mußte.
Ich zitterte wie Espenlaub. Nozhat fragte lachend: »Was ist denn in dich gefahren, Mädchen? Du mußt doch nicht hineingehen. Wenn du so weiterzitterst, wirst du noch gegen die Tür stoßen und mitten ins Zimmer platzen.«
»Um Gottes willen, Schwesterherz, erschreck mich nicht so.«
Ich fand keine Ruhe. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es auf der ganzen Welt je eine Braut gegeben hat, die sich so sehr wünschte, der Bräutigam möge sich als unmöglich und unpassend herausstellen. Vielleicht wunderte sich sogar der Schöpfer selbst beim Anblick dieses fünfzehnjährigen reichen, verzogenen und undankbaren Geschöpfs, das ihn in jeder freien Minute, Sekunde um Sekunde anflehte: »Lieber Gott, laß ihn schielen«, »Lieber Gott, laß ihn kahl sein«, »Lieber Gott, tu was, daß er stottert«, »Ich opfere zehn Kerzen, daß er auf einem Bein hinkt.«
Als jedoch bei Anbruch der Dämmerung die Gäste eingetroffen waren und das Wohnzimmer betreten hatten, waren all meine Bitten und Gelöbnisse vergebens gewesen. Nicht nur mir, die ich mich zitternd hinter der Tür des Zimmers gebückt hatte, und sorgfältig das Innere musterte, sondern auch Nozhat entfloh unwillkürlich ein Seufzer der Bewunderung. Zu meinem Unglück war mein Freier ein adretter, wohlerzogener und gutgekleideter junger Mann, der in seinen eleganten und gutgeschnittenen ausländischen Kleidern sehr stattlich und herrschaftlich wirkte. Ichrannte in den Hof und beklagte mich, gen Himmel gewandt: »Hab vielen Dank, lieber Gott.«
Jedes andere Mädchen an meiner Stelle, oder wäre ich das Mädchen von vor einem Monat gewesen und einigermaßen bei Trost, hätte nicht gezögert. Würde sofort Ja sagen und darum bangen, daß er es sich anders überlegt. Aber was konnte ich dafür, daß er einen Monat zu spät gekommen war? Ich merkte, daß ich im Begriff war, zu stürzen. Dabei war, verlorenzugehen. Bereits verlorengegangen war – daß es aber keine Lösung gab. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen.
Nozhat rief mich leise: »Wo bist du hingegangen? Komm doch und sieh ihn dir an.«
Nassir Chan stellte, damit wir besser sehen konnten, einen Stuhl ans obere Ende des Zimmers, der Eingangstür gegenüber, hinter der wir standen, und zwang den armen Bräutigam beharrlich, sich daraufzusetzen. Ständig wiederholte er: »Bitte setzen Sie sich hierhin. Nein, hier ist es bequemer. Da gibt es doch kein Oben oder Unten…«
Nozhat kratzte sich vorsichtig die Wange und sagte: »Asche auf mein Haupt, ein Bein dieses Stuhls sitzt locker. Gleich fällt der Bräutigam hin.« Und ihr schwerer Körper erzitterte von einem unterdrückten Lachen.
Auch ich lachte leise. »Um Gottes willen, lach nicht, Nozhat. Sie werden es bemerken.«
Nozhat sagte leise, vom Lachanfall zerhackt: »Schau du nur hin… was hast du mit mir zu schaffen?«
Ich begann bei seinen neuen, glänzenden und gamaschenbewehrten ausländischen Schuhen und kam bis zu den Knien.
Er hatte sich leger seitlich auf den Stuhl gesetzt. Den linken Ellenbogen hatte er auf die Stuhllehne aufgestützt und den Knöchel des linken Beins auf das rechte Knie gelegt. Seine rechte Hand lag auf dem Fußknöchel.
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