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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Zweifellos hatte er den Grund für die heutige Einladung gerochen. Doch er wirkte keineswegs schüchtern oder geniert. War auch er verliebt? Hatte man ihn ebenfalls unter Zwang hergebracht? Mein Blick kletterte aufwärts bis auf seine Brust, die Weste, das weiße Hemd und die Goldkette seiner Uhr, und fiel, unfähig weiterzusteigen, auf seine Hände. Ich wollte sie sehen. Wie waren seine Hände? Wie die von Rahim, unserem Schreiner am Wegesrand,oder nicht? Natürlich nicht. Diese Hände waren sauber und weich. Unverbraucht. Allerdings waren sie nicht sehr viel heller als seine. Auf den Gelenken, auf Handrücken und -ansatz waren ein paar dunkle Haare gesprossen. Es waren schöne Hände, aber sie eigneten sich als Vorlage für einen Bildhauer. Meiner Ansicht nach waren sie überhaupt nicht männlich. Es waren die Hände eines verwöhnten, selbstsicheren jungen Mannes. Hände wie von Menschen, die gewöhnt sind, stets zu siegen. Hände, die mir sagten: »Sieh uns an, sieh unseren Besitzer an, Mann, sieh uns an! Meine Schwester und Mutter hast du ja auch schon gesehen. Mit der Kutsche, der Amme und dem Hofstaat. Wünschst du dir nicht, mir zu gefallen? Fürchtest du nicht, mich zu verlieren?«
    Aber ich stand ihm in nichts nach. War nicht bereit, mich dem Zwang zu fügen. Ich hatte das, wonach ich gesucht hatte, gefunden. Warum also sollte ich mich fürchten? Warum nicht sein Gesicht betrachten? Ich hob den Blick und vertiefte mich, soweit es die Türritze erlaubte, in sein Antlitz. Er sah wirklich gut aus. An seinen Augen und Brauen gab es nichts auszusetzen. Ohne Zweifel war er der mütterlichen Sippe nachgeschlagen. Die Lippen klein, aufgeworfen und rot. Adlernase. Schmaler Schnurrbart. Sprechweise bestimmt und gebieterisch… aber, aber. Ich sagte mir: ›Zum Teufel, sag, was hast du denn? Was erwartest du denn Besseres? Nein, er riecht doch nach Parfüm, reizt mich überhaupt nicht. Ist einfach fad. Gerade gut für seine liebe Cousine…‹
    Nozhats Körper stieß an die Tür, und diese zitterte ein wenig. Sofort richteten sich jene schwarzen Augen auf die Tür. Er zögerte kurz. Als ob er mir direkt in die Augen blicken würde. Dann lächelte er und sagte zu meinem Schwager: »Windet es draußen?«
    »Nein, wie kommen Sie darauf?«
    »Nichts, ich habe gesehen, wie die Tür zitterte…«
    Mein Schwager wandte sich zur Tür und schnitt ein solch grimmiges Gesicht, daß Nozhat und ich unwillkürlich zurückwichen, und sagte mit demselben Ausdruck: »Nein, vielleicht ist es eine Katze.«
    Der Sohn der Prinzessin sagte humorvoll: »Und zwar eine verspielte Katze, wie es scheint.«
    Nozhat sagte: »Wai, wie charmant er ist.«
    Je mehr seine Vorzüge zum Vorschein kamen, desto wütenderwurde ich. In mich hinein sagte ich: ›Er hält schöne Reden. Denkt, daß ich hinter der Tür an ihm Gefallen gefunden und mich rasend in ihn verliebt habe.‹ Insgeheim lachte ich ihn aus. Ich trat von der Tür zurück, Nozhat ebenfalls. Wieder sagte sie: »Er ist sehr charmant, oder? Einer von diesen Herzensbrechern.«
    Zornig erwiderte ich: »Einer von diesen Unverschämten, der einen sogar durch die Tür hindurch mit Blicken verspeisen will. Außerdem ist der Herr sehr von sich überzeugt.«
    Nozhat antwortete: »Bei Gott, es scheint, als suchtest du nach Ausflüchten. Was ist denn an ihm auszusetzen? Es ist ein Genuß, ihn von Kopf bis Fuß zu mustern.«
    Besser, vorläufig den Mund zu halten.
    Sie gingen, und damit begann erst der Ärger. Zu Hause schickte meine Mutter die Amme zu mir: »Nun, Mahbub Djan, Kind, glaubst du jetzt, daß dir dein Herr Vater keine schlechte Partie aussuchen wollte? Was soll ich jetzt als Antwort sagen? Soll ich sagen, er hat dir gefallen?«
    »Nein.«
    Was hätte ich meiner Amme schon sagen können? Meine Amme sagte lachend: »Nun gut, das verbuchen wir als Ziererei. Nun hab dich nicht so. Sag, was soll ich deiner Frau Mutter sagen?«
    »Ah, liebe Amme, wie oft soll man dasselbe denn noch wiederholen? Ich sagte, sag nein.«
    Die Amme schlug die Hände auf den Kopf: »Tss, tss, Asche auf mein Haupt. Mädchen, was heißt, ich soll nein sagen? Bist du denn wahnsinnig? Deine Frau Mutter wird einen Rückfall bekommen.«
    »Will denn Mama heiraten?«
    Die Amme stierte mich ungläubig an und sagte: »Wie dreist du geworden bist, Mädchen! Ich trau mich nicht. Geh und sag es ihr selber. Was ist denn bloß an diesem jungen Mann auszusetzen?«
    »Nichts. Nichts ist an ihm auszusetzen. Möge er seiner Mutter

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