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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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erhalten bleiben.«
    Wieder sagte die Amme: »Alt – ist er nicht…. unannehmbar – ist er nicht…., wahrhaftig, ein Gedicht…, arm – ist er nicht…«
    »Wie denn? Was ist los, liebe Amme, hältst du eine Ansprache? Moment mal, worum geht’s denn, Mahbube?« Meine Mutter betrat fröhlich und unbekümmert das Zimmer.
    »Nichts.«
    Meine Mutter wandte sich an meine Amme: »Nun, was sagt sie? Was sollen wir ihnen antworten?«
    Statt meiner Amme anwortete ich in ernstem Ton: »Sagen Sie, Mahbube hat nein gesagt.«
    Noch während meine Mutter die Amme betrachtete, riß sie die Augen auf, wandte sich dann ganz ruhig zu mir um und fragte: »Was?… Wir sollen sagen… Was hast du gesagt?«
    »Sagen Sie, ich habe gesagt nein.«
    »Bist du wahnsinnig geworden, Mädchen?«
    »Nein, ich bin nicht wahnsinnig. Aber ich will diesen Mann nicht.«
    Meine Mutter sagte in mütterlichem und belehrendem Ton: »Fordere dein Glück nicht heraus, Mahbube. Warum stellst du dich so an?«
    »Ich werde nicht die Frau eines Mannes, der ein Kind hat.«
    Als ob eine andere statt meiner diesen Satz gesprochen hätte. Sogar ich selbst war erstaunt, ihn aus meinem Mund zu hören. Zu damaligen Zeiten war die Existenz eines kleinen Kindes, eines Winzlings, wie es die Prinzessin nannte, im Haus einer Großmutter wie der Gnädigen Frau und eines Großvaters wie Ata od-Doule kein Problem, das die Heirat eines Mädchens mit einem so attraktiven Freier hätte verhindern können. Aber ich sagte nein und nein und nochmals nein und beharrte eigensinnig. Je weiter das Gezeter und Geschrei zunahmen, je mehr mir gepredigt und gut zugeraten wurde, desto bestimmter wurde mein Entschluß, ihn abzulehnen. Schließlich vermittelte mein Vater mit seiner üblichen Selbstbeherrschung: »Sagt Mahbube, es ist schade darum. Sie soll es sich gut überlegen. Aber wenn sie nicht will, dann beharrt nicht so sehr darauf. Trotz ihrer Kindlichkeit hat sie recht. Das Leben mit dem Kind der ersten Frau ist nicht leicht. Egal, ob sie im selben Haus leben oder nicht. Laßt sie selbst entscheiden. Daß sie nicht später sagt: Ihr hattet es so bestimmt.«
    Gras wuchs über die Sache. Ich wurde ruhiger und atmete erleichtert auf.
    Es war Frühling. Eine Frühlingsbrise wehte. Der Duft der Levkojen stand über den Blumentöpfen. Es gab die vorwitzigen, gelbgesprenkeltenVeilchen. Es gab das Rascheln der Blätter der Platanenbäume im Frühlingswind, und es gab Qamars Gesang. Der Gesang von Qamar. Jeden Abend, an dem er gut aufgelegt war, legte Papa die Schallplatte von Qamar auf, und Gott sei’s gedankt, daß in diesem Frühjahr für einen segensreichen Ausgang der Schwangerschaft meiner Mutter und in der Hoffnung, daß das Neugeborene vielleicht ein Sohn werden würde, in unserem Haus fast jeden Abend die Platte von Qamar auf dem Plattenteller lag. Den Gedichtband von Hafis legte ich nicht aus der Hand. Jedesmal, wenn mein Vater fröhlich war, rief er mich zu sich: »Mahbub, lies mir Hafis vor«, »Mahbub, lies mir aus ›Leili und Madjnun‹ vor.« Und jedes Mal, wenn er traurig und niedergeschlagen nach Hause kam, jedesmal, wenn er wütend und zornerfüllt war, sagte meine Mutter: »Mahbub Djan, geh, lies deinem Papa Hafis vor. Er ist schlecht gelaunt. Daß du mir ja dein Bestes gibst. Er ist furchtbar wütend.«
    Zu der Zeit, als mein Vater das Weintrinken noch nicht bereut und abgelegt hatte, durfte nur meine Mutter ihm das Tablett bringen. Mit ihren eigenen Händen. Das Tablett mußte silbern sein. Die Karaffe mußte aus Kristall sein. Unbedingt aus geschliffenem Kristall. Yoghurt mit Gurken und trocken gebackenes Brot, Salz und Pfeffer in chinesischen Porzellanschüsselchen. Alles dem Brauch entsprechend und schön angeordnet. Wir mußten das Zimmer verlassen. Einzig und allein meine Mutter hatte bei meinem Vater zu sitzen.
    »Daß du mir ja nicht weggehst, mein Liebchen. Geh nirgendwo hin. Setz dich hier neben mich hin. Sei eine Nacht im Jahr auch für mich da.«
    Meine Mutter lachte: »Bitte schön, mein Herr, ich habe mich hingesetzt. Ich bin doch dreihundertundfünfzig Tage im Jahr für Sie da.«
    Erst wenn mein Vater wieder besser gelaunt war, wenn meine Mutter das Weingeschirr zusammengeräumt und mitgenommen hatte, war es uns erlaubt, das Zimmer zu betreten. Dann las mein Vater entweder die Zeitung oder verlangte von mir, daß ich ihm die Gedichte von Hafis oder Nizami vorlese.
    »Mahbub Djan, liest du mir ein Gedicht vor?«
    Bis vor einem Monat hatte ich

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