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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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erleichtert haben, während er in einem Sex Shop am Broadway in Pornoheften geblättert hat.
    Eins-X-L-Dreißig war ein junger Sergeant namens Grant, den ich nicht sonderlich gut kannte. Er hatte ein glattes, immer leicht gerötetes Gesicht und einen umfangreichen Wortschatz. Ich hatte ihn bisher noch bei keinem einzigen Appell fluchen hören, und ich muß sagen, daß ich keinem Polizisten traue, der niemals so richtig loslegt. Man kann einfach bestimmte Dinge, die man in diesem Job mitbekommt, und die Gefühle, die sie in einem erwecken, nicht ohne eine gewisse blumige Sprache beschreiben.
    Grant marschierte südlich der Ninth in der Nähe der Olympic vor seinem Wagen auf und ab, als ich angefahren kam. Ich wußte, es war snobistisch, aber ich konnte einen jungen Burschen wie ihn einfach nicht mit ›Sergeant‹ ansprechen. Und da ich auch nicht unhöflich sein wollte, nannte ich diese jungen Sergeants auch nicht bei ihren Nachnamen. Ich redete sie überhaupt nicht an. Manchmal wurde das tatsächlich etwas schwierig, und ich mußte mich mit Wendungen behelfen wie ›Hören Sie mal, Chef‹, wenn ich mit einem von diesen Kerlen sprechen wollte. Grant kam mir reichlich nervös vor.
    »Was gibt's denn?« fragte ich, während ich aus dem Wagen stieg.
    »Vor dem Einberufungsamt findet eine Demonstration statt.«
    »Aha.« Ich sah die Straße hinunter, wo sich eine Gruppe von fünfzehn Leuten vor dem Einberufungsamt der Army aufgestellt hatte.
    »Dort gehen immer eine Menge Wehrpflichtige aus und ein, und es ist gut möglich, daß es irgendwelche Scherereien gibt. Unter den Demonstranten sind ein paar Kerle, die einen ziemlich üblen Eindruck machen.«
    »Und was sollen wir jetzt tun?«
    »Ich habe Sie angefordert, weil ich jemanden brauche, der sie ein bißchen im Auge behält. Ich werde inzwischen den Lieutenant fragen, ob er einen Einsatz für angebracht hält. Schalten Sie bitte auf Frequenz Neun um und benachrichtigen Sie mich sofort, falls sich irgendwelche Veränderungen ankündigen.«
    »Hören Sie mal, das ist doch nur ein Klacks. Ich meine, Sie wollen doch nicht im Ernst wegen dieser fünfzehn Heinis einen Einsatz starten.«
    »Man weiß nie, wozu sich so etwas entwickeln kann.«
    »Na gut.« Ich seufzte, obwohl ich es mir eigentlich verkneifen wollte. »Dann werde ich eben hierbleiben und ein bißchen aufpassen.«
    »Es wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn Sie mit Ihrem Wagen ein bißchen näher ranfahren würden. Parken Sie auf der anderen Straßenseite. Nahe genug, so daß die Kerle Sie sehen können, und weit genug entfernt, damit sie nicht versuchen, Sie aus der Reserve zu locken.«
    »In Ordnung, Chef«, murmelte ich, während Grant in seinen Wagen stieg und zur Station fuhr, um mit Lieutenant Hilliard zu sprechen, einem erfahrenen alten Hasen, der wegen dieser fünfzehn Demonstranten sicher nicht gleich aus dem Häuschen geraten würde.
    Als ich mich wieder in den Verkehr einordnete, stieg ein Kerl in einem blauen Chevy wie ein Verrückter auf die Bremsen, obwohl er noch fünfundzwanzig Meter hinter mir war und ganz langsam fuhr. Wenn die Leute einen Streifenwagen sehen, kriegen sie Schwarzweißfieber und machen oft die größten Dummheiten, nur um besonders vorsichtig zu sein. Ich habe schon mehr als einmal beobachtet, wie sich jemand so verbissen auf einen Aspekt der Verkehrssicherheit konzentrierte, wie zum Beispiel ein Handzeichen zu geben, daß er dabei ein Rotlicht überfuhr. So etwas ist eine typische Auswirkung von Schwarzweißfieber.
    Plötzlich erregten die Demonstranten auf der anderen Seite des Broadway meine Aufmerksamkeit, als zwei von ihnen, ein Junge und ein Mädchen, mir bedeuteten, ich sollte zu ihnen kommen. Offensichtlich wollten sie sich nur einen Spaß mit mir machen, aber ich beschloß aus verschiedenen Gründen trotzdem, zu ihnen zu gehen. Erstens bestand die Möglichkeit, daß wirklich etwas nicht stimmte. Zweitens hätte es keinen guten Eindruck gemacht, wenn ein Brocken von einem Polizisten wie ich Angst gehabt und sich nicht in die Nähe einer Demonstrantengruppe gewagt hätte. Drittens hatte ich mir eine Theorie zurechtgelegt, derzufolge es zu keinem Aufruhr kommt, wenn man bei solchen Konfrontationen schnell genug mit dem ausreichenden Nachdruck vorgeht. Und da ich noch nie erlebt hatte, daß schnell genug mit dem ausreichenden Nachdruck vorgegangen wurde, hoffte ich endlich einmal, meine Theorie in der Praxis überprüfen zu können, da ich allein war und mir kein

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