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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Sergeant auf die Finger sehen konnte.
    Ein paar Demonstranten, zwei Schwarze und ein bärtiger, langhaariger Weißer in einer dreckigen Hirschlederweste und mit einem gelben Stirnband, sahen radikal genug aus, um sich mit einem übergewichtigen, schon etwas älteren Polizisten wie mir anzulegen. Aber ich war überzeugt, daß sich dieses Völkchen mit ein bißchen Gequengle von wegen brutaler Polizeigewalt schnellstens verdrücken würde, sobald nur einer von diesen Kerlen den Fehler begehen sollte, mir dumm zu kommen, und ich ihm darauf meinen Knüppel zehn Zentimeter die Speiseröhre runterschieben würde. Aber man konnte es natürlich nie wissen. Jedenfalls war die Schar inzwischen auf dreiundzwanzig angewachsen. Davon waren nur fünf Mädchen. So viele Kerle konnten mich natürlich zu Kompott zermanschen, aber eigentlich war ich mir meiner Sache ziemlich sicher, zumal die meisten, obwohl sie ihre Fäuste gegen mich schüttelten, den Eindruck erweckten, als wären sie Sprößlinge der weißen Mittelschicht, die eben mal auf Revolution machten. Wenn man es mit ein paar rauflustigen Profis wie dem Kerl mit dem Stirnband zu tun hatte, konnte man allerdings durchaus in Schwierigkeiten geraten. Ein paar Typen dieses Schlags waren imstande, die anderen mitzureißen, aber er war der einzige, der mir auffiel.
    Um nicht vor ihren Augen verbotenerweise auf der Straße zu wenden, fuhr ich um den Block, um – ebenfalls verbotenerweise – auf der Olympic zu wenden, und stellte – wieder auf dem Broadway – den Wagen direkt vor ihnen ab. Die Demonstranten ignorierten mich und marschierten weiterhin mit Sprechgesängen wie ›Wir lassen uns nicht einziehen!‹ und ›Wir scheißen auf Onkel Sam und Tante Spiro!‹ vor dem Gebäude auf und ab.
    »Hallo, Officer, ich liebe Sie«, säuselte eine hübsche, kleine, blonde Demonstrantin, die vielleicht siebzehn war, glattgebügeltes, schulterlanges Haar hatte und sich ihre mindestens fünf Zentimeter langen falschen Wimpern offensichtlich verkehrt herum angeklebt hatte.
    »Hallo, Schätzchen, ich liebe dich auch«, erwiderte ich lächelnd und lehnte mich an die Tür meines Wagens. Ich verschränkte die Arme über der Brust und paffte an meiner Zigarre, bis sich die zwei, die mir zugewinkt hatten, in meine Richtung bewegten.
    Sie flüsterten mit einer anderen Frau, und schließlich kam das kleinere Mädchen, das eigentlich kein Mädchen mehr war, sondern eine etwa fünfunddreißigjährige Frau, direkt auf mich zu. Sie trug einen kurzen gelben Teenager-Mini, ein violettes Leibchen, eine Großmutterbrille und weißen Lippenstift. Ihre Beine waren um einiges zu dick und zu fleischig, und sie hatte ein theatralisches Lächeln aufgesetzt, das jedoch die kalte Arroganz darunter nicht zu verbergen vermochte. Aus der Nähe betrachtet, schien sie ein Profi zu sein und ganz offensichtlich eine Initiatorin dieser netten kleinen Veranstaltung. Manchmal kann eine Frau, wenn sie was von der Sache versteht, noch viel rascher als Katalysator wirken als ein Mann. Und diese Frau schien etwas von der Sache zu verstehen. Ich sah ihr lächelnd in die Augen, während sie an einem Friedenszeichen herumspielte, das ihr vom Hals baumelte. Ihre Augen sagten: ›Du bist ein harmloser, fetter Bulle, und es lohnt sich eigentlich gar nicht, daß wir uns mit dir abgeben, aber im Augenblick haben wir sonst niemanden. Abgesehen davon weiß ich nicht einmal, ob so ein altes Arschloch wie du überhaupt merkt, wenn man es auf den Arm nimmt.‹
    Das war es, was ich in ihren Augen und hinter ihrem falschen Lächeln sah. Aber sie sagte noch immer nichts. Dann fuhr ein Wagen von einer der Fernsehstationen vor, und zwei Männer mit Mikrofon und Kamera stiegen aus.
    Da sie nun gefilmt werden sollten, nahm der Eifer der Demonstranten sichtlich zu. Ihre Sprechgesänge wurden lauter, ihre Gesten wilder, und der ältliche Teenager in dem gelben Minikleid sprach mich schließlich an. »Wir haben Sie herübergerufen, weil Sie so einen verlorenen Eindruck gemacht haben. Wo ist denn der Rest der Truppe? Oder sollen Sie sich ganz allein um uns kümmern?«
    »Lernen Sie mich erst mal kennen, Gnädigste, dann werden Sie auf alle anderen Bullen verzichten.« Ich grinste sie durch den Rauch meiner Zigarre an und sah ihr dabei unverwandt in die Augen. Sie zuckte nicht mit der Wimper, was meine Bewunderung erregte. Natürlich war mir klar, daß sie das typische, geschäftsmäßige Klischeeverhalten erwartete, dessen wir uns in solchen

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