Der müde Bulle
überraschend leicht. »Wieso bringst du ihn eigentlich nicht dazu, daß er wenigstens ein bißchen mehr ißt?« Ich folgte Socorro die Treppe hinauf.
»Du weißt doch, daß er für Essen nichts übrig hat. Warte, ich helfe dir.«
»Zeig mir nur den Weg, Mama. Ich komme schon allein mit ihm zurecht.«
Als wir schließlich in ihr Schlafzimmer traten, war ich nicht einmal außer Atem. Socorro hatte die Decke zurückgezogen, und ich legte ihn aufs Bett. Cruz schnarchte und pfiff inzwischen, was das Zeug hielt, und wir mußten beide lachen.
»Er schnarcht schrecklich«, meinte Socorro kichernd, während ich auf das kleine Bündel vor mir hinuntersah.
»Er ist der einzige wirkliche Freund, den ich während der letzten zwanzig Jahre hatte. Ich kenne Millionen Leute, die ich ab und zu besuche und mit denen ich etwas unternehme und die mir irgendwie fehlen werden. Aber bei keinem habe ich das Gefühl, daß mir etwas aus meinem tiefsten Innern gerissen wird – so wie bei Cruz.«
»Aber du wirst ja jetzt Cassie haben. Ihr wirst du noch zehnmal näher sein.« Sie ergriff meine Hand. Ihre beiden Hände fühlten sich rauh und hart an.
»Du redest genauso daher wie dein Alter.«
»Wir sprechen eben oft über dich.«
»Gute Nacht, Sukie.« Ich küßte sie auf die Wange. »Cassie und ich werden noch auf einen Sprung vorbeischauen, um Lebwohl zu sagen, bevor wir endgültig abreisen.«
»Gute Nacht, Bumper.«
»Gute Nacht, alter Socken«, schrie ich Cruz an, der ungerührt weiterschnarchte. Dann stieg ich schmunzelnd die Treppe hinunter. Ich schaltete das Licht im Vorraum aus und verließ das Haus.
Als ich an diesem Abend ins Bett ging, bekam ich, ohne zu wissen, warum, plötzlich Angst. Ich wünschte, Cassie wäre bei mir gewesen. Und dann fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
DONNERSTAG, DER ZWEITE TAG
9.
Am nächsten Morgen polierte ich fünf Minuten an meinem Abzeichen herum und war dann richtig enttäuscht, als Lieutenant Hilliard keine Inspektion durchführte, da ich einen so guten und ordentlichen Eindruck machte. Cruz dagegen sah erbärmlich aus. Er saß neben Lieutenant Hilliard am Schreibtisch und las mühsam die eingegangenen Verbrechensmeldungen herunter. Ein paarmal schielte er zu mir herüber und verdrehte die Augen, die an diesem Morgen wirklich sehr traurig wirkten. Er hatte einen schrecklichen Kater. Nach dem Appell konnte ich kurz mit ihm sprechen.
»Du siehst heute ja wirklich ein bißchen crudo aus«, sagte ich und gab mir Mühe, nicht zu grinsen.
»Ach, du Scheißkerl!« brummte er.
»Das war nicht der Mescal«, witzelte ich weiter. »Ich glaube, du hast den Wurm mitverschluckt.«
»Hör bloß auf, du Dreckskerl!«
»Hast du für die Mittagspause schon was vor? Ich würde dich gern zum Essen einladen.«
»Sei bloß still! Mir wird schon bei dem Wort Essen schlecht!« stöhnte er.
Ich mußte lachen. »Na gut, aber dann nimm dir wenigstens morgen für mich Zeit. Und such dir das beste und teuerste Restaurant aus, das du dir nur denken kannst. Irgendwo, wo sie uns Uniformierten keine Gratisverköstigung erteilen. In so einem Laden möchte ich mein letztes Mittagessen als Polizist einnehmen.«
»Du wirst doch nicht ernstlich im Dienst für ein Mittagessen zahlen wollen?«
»Dann wird es eben das erstemal sein«, erwiderte ich grinsend. Auch Cruz lächelte. Er machte allerdings den Eindruck, als ob dies für ihn mit einigen Schmerzen verbunden wäre.
»Ahi te huacho«, verabschiedete ich mich.
»Vergiß nicht, daß du heute nachmittag einen Termin bei Gericht hast, 'mano.« Er konnte es nicht lassen, mich zu gängeln.
Bevor ich in meinen Schwarzweißen stieg, inspizierte ich den Wagen noch einmal genau. Vor allem den Rücksitz sah ich mir an, falls einer der Anfänger von der Nachtstreife irgendeinem Häftling erlaubt hatte, seine Knarre dort zu verstecken – oder ein Kondom voll Heroin oder eine verdammte Handgranate.
Es dauert manchmal ganz schön lange, aus diesen Grünschnäbeln einen richtigen Polizisten zu machen. Bei diesen jungen Burschen mußte man mit allem rechnen. Aber dann hielt ich mir vor Augen, wie es war, zweiundzwanzig zu sein. In diesem Alter ist man ja noch ein halbes Baby, und es ist ganz schön hart, in so einer Uniform als zweiundzwanzigjähriges Establishment-Symbol erwachsen zu werden. Trotzdem kann ich es manchmal einfach nicht mitansehen, wie sie oft fünf Jahre lang wie die letzten Hornochsen durch die Gegend stolpern und sich von jedem nächsten
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