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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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besten dahergelaufenen Ganoven übers Ohr hauen lassen. Eines Tages, dachte ich, werde ich in der Ritze des Rücksitzes noch einen zerquetschten Liliputaner finden.
    Sobald ich dann losgefahren war und durch die Gegend kreuzte, dachte ich über den Fall nach, mit dem ich mich am Nachmittag würde befassen müssen. Es handelte sich dabei um einen Termin beim Untersuchungsrichter mit einem Kerl namens Landry. Der Mann hatte bereits einmal im Gefängnis gesessen und war bei uns wegen unerlaubten Besitzes einer Waffe und einmal auch von Marihuana aktenkundig geworden. Ich rechnete allerdings mit keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten bei der Verhandlung. Ich hatte Landry auf einen Tip von meinem Informanten Knobby Booker hin verhaftet.
    Unter irgendeinem Vorwand, der mir erst beim Lesen des Protokolls wieder einfiel, hatte ich Landry in seinem Hotelzimmer in der East Sixth Street eingesackt, während er gerade seinen Mittagsschlaf hielt. Um sich für seine Raubüberfälle etwas Mut zu machen, hatte er in der Schublade seines Nachtkästchens eine Tüte mit Gras und unter der Matratze eine geladene Fünfundvierziger-Automatic von der Army. Fast hätte er es noch geschafft, das Ding hervorzuholen, als ich durch die Tür kam, und ich hätte ihn um ein Haar abgeknallt, als er danach griff. Die Szene erinnerte mich ein wenig an einen Western, wie er seine Hand bereits ein Stück unter die Matratze geschoben hatte und ich geduckt auf sein Bett zuschlich, wobei ich meine Smith auf seine Oberlippe gerichtet hatte und ihm in leuchtenden Farben ausmalte, was ich mit ihm anstellen würde, wenn er seine Hand nicht ganz, ganz langsam wieder unter der Matratze hervorziehen würde – was er dann auch tat.
    Landry war für eine Kaution von fünftausend Dollar, die eine ältere Dame aufgebracht hatte, auf freien Fuß gesetzt worden. Er hatte einige Jahre zuvor ab und zu eine Rolle im Fernsehen bekommen und verdingte sich als eine Art Gigolo für ältere Damen. Darauf hatte er versucht, sich aus dem Staub zu machen, wurde allerdings in Denver wieder geschnappt und an uns ausgeliefert.
    Das Ganze lag inzwischen vier Monate zurück, und ich konnte mich an die Einzelheiten natürlich nicht mehr erinnern. Aber bevor ich vor Gericht aussagte, würde ich mir noch einmal das Protokoll seiner Verhaftung genau durchlesen. Ich mußte ihn bei dieser Vorverhandlung zum Reden bringen, ohne meinen Informanten Knobby Booker ins Spiel zu bringen. Es durfte nicht herauskommen, daß ich einen Informanten gehabt hatte. Wenn man wußte, wie man so etwas am besten bewerkstelligte, war das auch weiter kein Problem.
    Es wurde langsam heiß und stickig, und ich fing bereits an, unter den Achselhöhlen zu schwitzen. Meine Blicke streiften kurz ein riesiges Plakat in der Olive Street, auf dem stand: ›Führen Sie einen jungen Burschen nicht auf den Weg des Verbrechens, indem Sie Ihre Wagenschlüssel steckenlassen.‹ Mein Kommentar dazu bestand nur aus einem verächtlichen Schnauben und einigen heftigen Furzen. Das sind die verdammten Träumer von der Public-Relations-Abteilung, die sich diese netten Slogans ausdenken. Solche Sprüche haben nichts weiter zur Folge, als daß sich jeder mit Ausnahme der Verbrecher selbst schuldig fühlt. Und diese Kerle werden es noch schaffen, daß die wirklichen Polizisten bald keine Lust mehr haben, ihre Arbeit zu tun.
    Als ich gegenüber dem Grand Central Market an den Straßenrand fuhr, torkelte gerade ein Säufer den Broadway herunter. Er nuckelte an einem Flachmann, und als er mich sah, wirbelte er herum, so daß er hinfiel. Dabei glitt ihm die Flasche aus der Hand. Er stand wieder auf, als wäre nichts geschehen. Während die Flasche noch auf dem Gehsteig lag und ihr braunflüssiger Inhalt sich über das Pflaster ausbreitete, machte er sich scheinbar unauffällig aus dem Staub.
    »Heb deinen Flachmann auf, du Arschloch!« schrie ich ihm nach. »Ich werde dich schon nicht verhaften.«
    »Danke, Bumper«, erwiderte er betreten und griff nach der Flasche. Er winkte mir zu, dann schwankte er weiter den Broadway hinunter. Seine schmierige graue Jacke schlenkerte traurig um seine abgezehrte Gestalt.
    Ich überlegte, woher ich den Mann kannte. Natürlich war er mir aus meinem Revier bekannt, aber er war kein gewöhnlicher Säufer. Da war irgend etwas anderes. Und dann sah ich durch all die Hagerkeit und den Schmutz hindurch und erkannte ihn. Ich mußte lächeln, da es mir in diesen Tagen immer ein gutes Gefühl verlieh, mich

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