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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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jeden Fall nach Los Angeles zurückkommen«, meinte Cruz. »Wir müssen noch eine Abschiedsfeier für dich schmeißen.«
    »Das ist wirklich nett, Cruz – vielen Dank. Aber ich habe Abschiedsfeiern noch nie gemocht. Ich finde so etwas immer todtraurig. Ich weiß dieses Angebot durchaus zu schätzen, aber trotzdem – bitte, keine Abschiedsfeier für mich!«
    Socorro seufzte tief auf. »Stell dir das mal vor – ein völlig neues Leben anzufangen … Ich fände es schön, wenn auch Cruz schon aufhören könnte.«
    »Wem sagst du das?« murmelte Cruz mit glasigen Augen. Er saß jedoch inzwischen wieder kerzengerade da. »Aber wir haben ja auch die Kinder, und ich hab mich auf dreißig Jahre verpflichtet. Dreißig Jahre … Mein Gott, das ist ja schon fast das ganze Leben. Wenn ich endlich mal aufhören kann, bin ich schon ein alter Mann.«
    »Ich glaube, ich kann wirklich von Glück reden«, sagte ich. »Kannst du dich noch an die Zeiten in der Akademie erinnern, Cruz? Damals dachten wir auch schon, wir wären alte Männer – mit all diesen Zwanzigjährigen um uns herum. Damals warst du einunddreißig, der Älteste in unserem Kurs, und ich war nicht viel jünger. Kannst du dich noch an Mendez erinnern, der uns immer Elefante y ratoncito nannte?«
    »Der Elefant und die Maus«, kicherte Cruz.
    »Die zwei Alten! Wir waren damals dreißig, und ich dachte, ich wüßte schon eine Menge. Aber wenn ich mir's recht überlege, waren wir damals noch ganz schön feucht hinter den Ohren.«
    »Natürlich, 'mano«, stimmte mir Cruz zu. »Aber doch nur deshalb, weil wir noch nicht da draußen waren.« Er deutete mit einer vagen Geste auf die Straße hinaus. »Da draußen wird man dann schnell erwachsen. Und manchmal denke ich wirklich, daß es nicht unbedingt gut ist, so viel und so schnell auf einmal zu lernen. Irgendwie beeinträchtigt das die Art, wie man über die Dinge denkt und was man so fühlt. An bestimmte Dinge sollte man einfach noch glauben, aber wenn man einmal zwanzig Jahre da draußen war, dann kann man einfach nicht mehr daran glauben. Das bekommt niemandem gut.«
    »Aber du glaubst doch immer noch daran, Cruz?« fragte ich ihn. Socorro sah uns an, als faselten wir in unserem Suff nur noch sinnloses Zeug, wenn es auch für Cruz und mich keineswegs sinnlos war.
    »Ich glaube immer noch daran, Bumper, weil ich daran glauben möchte. Und schließlich habe ich ja auch Sukie und die Kinder. Wenn ich nach Hause komme, ist all das andere einfach nicht mehr real. Du hattest niemanden, zu dem du gehen konntest. Aber jetzt hast du ja Cassie.«
    »Ich muß für die Kinder die Pausenbrote fertigmachen«, entschuldigte sich Socorro und schüttelte dabei ihren Kopf auf eine Art, die besagen sollte, daß sie die beiden betrunkenen Polizisten nun lieber allein ließ. Da Cruz in dieser Hinsicht jedoch kaum einmal über die Stränge schlug, machte sie ihm auch keinen Vorwurf, obwohl er Schwierigkeiten mit seiner Leber hatte.
    »Ich kann dir gar nicht sagen, Bumper, wie froh wir waren, als du Cassie das erstemal zum Abendessen mitgebracht hast. In dieser Nacht lagen wir noch lange wach im Bett, und ich war genauso wie Socorro der Meinung, daß Gott sie dir geschickt haben muß – obwohl du ja nicht an Gott glaubst.«
    »Ich glaube nur an die Götter, das weißt du doch.« Ich grinste und spülte den letzten Mescal mit einem kräftigen Schluck Bier hinunter.
    »Es gibt nur einen Gott, verdammt noch mal!« stieß Cruz hervor.
    »Selbst dein Gott hat drei Gesichter, verdammt noch mal«, konterte ich. Dabei starrte ich ihn über den Hals meiner Bierflasche an, bis er lachen mußte.
    »Hör mal, Bumper, ich möchte wirklich mal mit dir reden.« Dabei senkte er den Blick, wie immer, wenn er es ernst meinte. Und wenn Cruz das tat, konnte ich ihn nicht mehr verspotten.
    »Also gut.«
    »Cassie ist die Antwort auf ein Gebet.«
    »Warum mußtest du deine Gebete ausgerechnet an mich verschwenden?«
    »Weshalb wohl, Pendejo? Weil du mein Bruder bist – mi hermano.«
    Das bewog mich, meine Bierflasche abzustellen und mich kerzengerade aufzusetzen. Cruz hob wieder den Kopf, und ich sah in seine großen braunen Augen. Er hatte allerdings sichtlich zu sehr mit dem Bier und dem Mescal zu kämpfen, um mir sagen zu können, was er mir mitteilen wollte. Ich fragte mich, wie er eigentlich die körperlichen Voraussetzungen gehabt haben konnte, um bei der Polizei anzukommen. Er war kaum eins siebzig groß und nichts als Haut und Knochen. Er hatte

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