Der müde Bulle
Notgedrungen bewahren sie ihr Geld in ihren Büstenhaltern auf, so daß dieser Trick in der Regel nicht mehr allzu häufig angewendet wird. Aber ich wäre jede Wette eingegangen, daß der Kerl, den ich beobachtet hatte, genau dies beabsichtigte, zumal die Frau eine relativ große Ledertasche bei sich hatte. Und eigentlich denkt man sich ja nichts dabei, wenn einem in der Gegend, in der man wohnt, jemand aus einem Haus entgegenkommt.
Ich erblickte die Frau etwa auf halber Höhe des Blocks, und der Mann ging ziemlich rasch hinter ihr her. Ich geriet leicht in Hektik und stieg etwas zu kräftig aufs Gaspedal, so daß der Schwarze auf mich aufmerksam wurde und sich nach mir umdrehte, und im nächsten Augenblick bog er auch schon nach rechts ab und verschwand zwischen zwei Häusern. Ich wußte, daß es keinen Sinn hatte, ihn zu verfolgen. Er hatte noch nichts getan, und abgesehen davon würde er sich bestimmt in irgendeinem Hinterhof verkriechen, so daß ich ihn nie finden würde. Ich fuhr also einfach in Richtung Odell Bacons Barbecue weiter. Als ich die Frau überholte, sah ich sie lächelnd an, und sie lächelte zurück – eine nette alte Dame. Es gab weiße Schafe und schwarze Schafe, und es gab reißende Hunde und ein paar gute Schäfer. Übermorgen wird es einen Schäfer weniger geben, dachte ich.
Der Geruch von Holzkohle und gegrilltem Fleisch drang schon aus hundert Metern Entfernung in meine Nase. Hier wurde immer noch auf drei riesigen, altmodischen Ziegelfeuerstellen gekocht. Odell und sein Bruder Nate standen hinter der Theke, als ich eintrat. Obwohl sie mit dem Kochen nichts mehr zu tun hatten, sondern nur noch bedienten, trugen beide leuchtend weiße Kochhüte und Schürzen. Das Lokal war um diese Zeit noch relativ leer. Da diese Gegend bereits zum Ghetto gezählt wird, aßen hier immer nur sehr wenige Weiße, und im Moment waren außer mir nur Schwarze anwesend. Allerdings gab es kaum jemanden in Los Angeles, der Bacons Lokal nicht gekannt hätte. Es war das beste Barbecue-Restaurant in der ganzen Stadt.
»He, Bumper«, begrüßte mich Nate, der mich als erster gesehen hatte. »Wie geht's, wie steht's, alter Freund?« Er war der jüngere der beiden Brüder – etwa vierzig und kaffeebraun. Früher hatte er als Bauarbeiter gearbeitet, und seine Arme waren immer noch mit dicken Muskeln bepackt.
»Ich kann nicht klagen, Nate«, erwiderte ich grinsend. »Hallo, Odell!«
»Tag, Bumper.« Odells Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Er war ein wohlgenährter Mann mit rundem Gesicht. »Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, alter Junge? Hab dich ja schon ewig nicht mehr gesehen.«
»Ich trete eben in letzter Zeit etwas kürzer«, erwiderte ich. »Ich komme nicht mehr so viel herum.«
»Das wird vielleicht was werden!« rief Nate lachend. »Wenn's unser guter alter Bumper nicht mehr schafft, wer soll's dann überhaupt noch schaffen?«
»Na, was hältst du von einer kleinen Portion Gumbo, Bumper?« fragte Odell.
»Nein, danke, heute hab ich Lust auf ein paar Rippchen.« Eine Portion Gumbo wäre natürlich auch nicht schlecht gewesen, aber die beiden machten es immer so reichhaltig – mit Krabben und Hühnerfleisch – daß ich danach sicher keinen Appetit auf Rippchen gehabt hätte. Und ich war schon ganz wild auf die kräftige Soße, die es dazu gab und die ihre Spezialität war.
»Stell dir mal vor, wen ich gestern gesehen habe, Bumper!« sagte Odell, während er einem Kunden zum Mitnehmen Hühnchen, Rindfleisch, Pommes frites und Okraschoten einpackte.
»Wen?«
»Diesen Kerl, den du mal in den Knast gebracht hast, weißt du noch? Den Typen, der Nate an den Kragen wollte, weil er dachte, mit seiner Rechnung würde was nicht stimmen. Du bist damals zufällig gerade hereingekommen und hast den Burschen gleich ordentlich in die Mangel genommen. Weißt du noch?«
»Klar, ich kann mich noch erinnern. Er hieß Sneed und stank wie Hundescheiße.«
Nate nickte. »Genau der. Mir hat es sowieso nie gepaßt, wenn der Kerl zu uns zum Essen kam. Dreckige Kleider, dreckiges Gesicht und dazu noch ein dreckiges Maul.«
»Du kannst echt von Glück reden, daß du nicht Gangräne gekriegt hast, wo dich dieser Scheißkerl angefaßt hat, Nate.«
»So ein blödes Arschloch!« erzürnte sich Nate nachträglich noch einmal. Ich hatte dem Kerl damals einen Schlag verpaßt, der ihm für fast fünf Minuten die Lichter ausgehen ließ. »Als er am nächsten Tag wieder hier reinkam, habe ich ihn sofort
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