Der müde Bulle
eine Weile als Schauspieler gearbeitet hat, und von daher wußte er wohl auch, wie man sich ein völlig anderes Gesicht zaubert. Scheiße, er ist doch immer nach der gleichen Methode vorgegangen. Er ging immer in irgendwelche Tante-Emma-Läden und fragte nach einem Kasten Bier oder so, von dem gerade nicht mehr viel da war. Und wenn die Leute dann nach hinten gingen, um im Lager nachzusehen – peng, zog er seine Automatic und räumte die Läden aus.«
»Ist er dabei jemals gewalttätig geworden?«
»Nicht bei den Überfällen im Central-Revier. Später fand ich dann allerdings heraus, daß er drüben in Rampart einem Kerl eins mit der Knarre übergezogen hat. Ein siebzigjähriger Verkäufer kam plötzlich auf die Idee, er wäre Wyatt Earp, und versuchte, eine alte Zweiunddreißiger, die er unter dem Ladentisch versteckt hatte, hervorzuholen. Landry hat den armen Teufel ganz schön zusammengeschlagen. Mit einer Fünfundvierziger dreimal über die Augenpartie. Der Alte liegt immer noch im Krankenhaus. Er ist inzwischen erblindet.«
»Wie steht's mit seiner Bewährung?«
»Dieser Dreckskerl hat ein Mordsschwein gehabt. Seine Bewährungsfrist ist genau zwei Wochen, bevor Sie ihn geschnappt haben, abgelaufen. Das ist doch echt ein Ding! Zwei Wochen!«
»Na ja, ich gehe jetzt lieber mal rein. Ein paar von diesen Staatsanwaltsassistenten geraten ja gleich in Panik, wenn man ihnen nicht ständig das Händchen hält. Haben Sie eigentlich einen speziellen Bezirksstaatsanwalt für diesen Fall?«
»Nein. Der Kerl ist mausetot. Da ist nicht mehr dran zu rütteln. Soweit ich das sehe, dürfte es keine Probleme wegen unerlaubter Durchsuchung und Festnahme geben. Aber obwohl wir genau wissen, daß dieser Kerl einige Raubüberfälle auf dem Gewissen hat, können wir heute nur ein paar Kleinigkeiten gegen ihn vorbringen. Ein ehemaliger Strafgefangener im Besitz von etwas Marihuana und einer Waffe …«
»Wird das denn ausreichen, um ihn wieder in den Knast zu schicken?«
»Ich denke schon, daß wir's schaffen werden. Ich werde sofort vorbeikommen, sobald ich hier fertig bin. Wenn Sie schon vorher fertig werden, dann lassen Sie mich bitte wissen, ob Sie ihn zum Reden gebracht haben.«
»Sie zweifeln daran, daß ich ihn zum Reden bringe?« Ich grinste und wandte mich zum Eingang des Gerichtssaals. Mir war dabei, wie schon den ganzen Tag heute, recht seltsam zumute. Dies war das letztemal, daß ich in Uniform vor Gericht erschien.
Der Gerichtssaal war fast leer. Das Publikum setzte sich lediglich aus drei Personen zusammen – aus zwei älteren Frauen, die sich vermutlich einfach zum Spaß ab und zu mal einen Prozeß ansahen, und einem jüngeren Mann, den man offensichtlich als Zeugen vorgeladen hatte und der seiner Staatsbürgerpflicht nur mit dem größten Widerwillen nachkam, wie seine ärgerliche Miene verriet. Da diese Räume nur für die Vorverhandlungen verwendet wurden, gab es hier keine Sitze für Geschworene, sondern nur eine Richterbank, einen Zeugenstand und einen kleinen Schreibtisch für den Gerichtsdiener.
Zumindest werde ich in Zukunft mit diesem Rechtskram nichts mehr zu tun haben, dachte ich. Die meisten Polizisten halten davon nicht allzuviel und finden das Ganze eher übertrieben und jenseits jeglichen gesunden Menschenverstandes. Aufgrund des kalifornischen Rechtssystems zieht sich so ein Prozeß meist dermaßen in die Länge, daß man es am Ende wegen der horrenden Kosten lieber doch bleiben oder diese Kerle mit geringfügigen Strafen davonkommen läßt.
Außerdem haben wir hier eine Schar von äußerst eifrigen und aus öffentlichen Geldern bezahlten jungen Verteidigern, die einen zur Verzweiflung bringen können, indem sie sich für irgendeinen miesen kleinen Ganoven ins Zeug legen, als säßen Sacco und Vanzetti persönlich auf der Anklagebank. Der Staatsanwaltschaft liegen Millionen Fälle vor, unter denen sie sich die vielversprechendsten aussuchen kann, und deshalb gelangen natürlich auch nur die Fälle vor Gericht, in denen mit ziemlicher Sicherheit mit einem Schuldspruch gerechnet werden kann. Andererseits kommt es keineswegs zu zahlreichen Verurteilungen, da die Gerichte überlastet und die Gefängnisse überfüllt sind.
All das könnte natürlich dazu beitragen, für einen Polizisten die Arbeit in Los Angeles recht frustrierend zu gestalten, wäre da nicht der glückliche Umstand, daß das öffentliche Leben in den jungen Städten des Westens noch nicht in dem Maße durch den politischen
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