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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Klüngel beeinflußt ist. Immerhin konnte ich während meiner zwanzig Jahre jeden, der es auch verdiente, verhaften, ohne daß er dann durch irgendwelche faulen Tricks wieder auf freien Fuß gesetzt worden wäre. Die einzige Ausnahme bildete in dieser Hinsicht ein widerwärtiger französischer Diplomat, den ich wegen Trunkenheit am Steuer einkassierte, nachdem er mich auch noch reichlich dumm angeredet hatte. Später stritt ich meinen Vorgesetzten gegenüber ab, daß er mich auf seine diplomatische Immunität hingewiesen hatte.
    Trotz all der Klagen von Seiten der Polizei steht zumindest eines fest – dies ist immer noch das beste System, das es momentan gibt. Selbst wenn es für uns von der Polizei manchmal etwas mühsam ist – wer zum Teufel hätte schon Lust, in Moskau oder Madrid oder irgendwo dazwischen Streifendienst zu machen? Natürlich gefällt es niemandem, abgelehnt zu werden. Aber immerhin wissen die meisten von uns, daß man sich als Polizist nicht gerade viele Sympathien erwirbt. Darum sage ich immer: Wenn man populär werden will, soll man lieber zur Feuerwehr gehen.
    Ich hörte der Verhandlung zu, die gerade abgehalten wurde. Der Angeklagte war ein großer, gutaussehender Bursche namens John Trafford, etwa siebenundzwanzig Jahre alt. Eine hübsche junge Frau, vermutlich seine Angetraute, saß hinten im Gerichtssaal. Hin und wieder wandte er sich zu ihr und brillierte dabei mit seiner eindringlichen Gestik, womit er jedoch nicht unbedingt auch Richterin Martha Redford beeindruckte, ein abgebrühtes, strenges altes Mädchen, das ich sehr zu schätzen gelernt hatte.
    Dann sagte ein Schwuler aus, dieser so manierlich aussehende junge Bursche, den der Schwule Tommy nannte, hätte ihn in einer einschlägigen Bar angemacht, worauf sie in die Wohnung des Schwulen gegangen wären, wo ihm Tommy nach einem nicht näher beschriebenen sexuellen Akt mit einem Küchenmesser fast den Kopf abgeschnitten hätte. Dann plünderte er die Wohnung des Schwulen und stahl ihm dreihundert blutgetränkte Dollars, die später zwei Uniformierte in seiner Tasche fanden, als sie ihn in der City schnappten.
    Die Verteidigung nahm den Schwulen heftig unter Beschuß, einen femininen kleinen Mann, der etwa vierzig Jahre alt war und ein Fotostudio besaß. Das Ganze hatte seiner Sympathie für ›Tommy‹ offensichtlich keinen Abbruch getan, da er dem Angeklagten ständig nervöse Seitenblicke zuwarf, was mir ebenso typisch wie absurd vorkam. Schwache Menschen brauchen so sehr jemand anderen, daß sie alles zu verzeihen bereit sind. Für meine Begriffe erzielte die Verteidigung einen etwas zu großen Erfolg damit, die ganze Angelegenheit einfach als einen weiteren typischen Fall hinzustellen, in dem ein Homosexueller ein bißchen aufs Kreuz gelegt wurde. Der Schwule hatte im Krankenhaus nämlich ein paar Transfusionen erhalten und war am Hals mehrmals genäht worden.
    Der junge Angeklagte drehte sich neuerlich um und warf seiner hübschen kleinen Ehegattin, die recht tapfer war, einen langen, traurigen Blick zu. Und als Richterin Redford ihn aufforderte, sich zu den Anklagen wegen versuchten Mordes und Raubes zu äußern, versuchte sein Verteidiger die Richterin zu einer Herabsetzung der Kaution zu bewegen, da ›Tommy‹ noch nie zuvor straffällig geworden war – wenn man einmal davon absah, daß er seine Frau verprügelt hatte.
    Darauf sah Richterin Redford den Angeklagten ganz ruhig an, starrte in sein hübsches Gesicht und in seine gelassenen Augen. Ich konnte ihr förmlich ansehen, wie sie gar nicht auf den Assistenten des Staatsanwalts hörte, der sich gegen eine Herabsetzung der Kaution aussprach und noch einmal auf die schweren Verletzungen des Opfers hinwies. Sie sah einfach nur den jungen Burschen an, und er sah sie an. Sein blondes Haar war ordentlich gekämmt, und er trug einen dezenten Nadelstreifenanzug.
    Dann lehnte sie den Antrag auf Herabsetzung der Kaution ab. Ich war mir sicher, daß sie im Gesicht dieses jungen Burschen dasselbe gesehen hatte wie ich. Vor diesem Kerl mußte man sich in acht nehmen. Seine eisige Miene strotzte nur so von Selbstvertrauen und kaltblütiger Intelligenz. Und Durchsetzungsvermögen. Es gibt Leute, die wirklich etwas ausstrahlen, und wenn dies dann eine so negative Energie ist, dann läuft es mir davon kalt den Rücken hinunter. Man kann so jemanden dann als Psychopathen bezeichnen oder böse nennen. Jedenfalls ist so ein Mensch für mich der Feind schlechthin. Ich fragte mich, wie

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