Der Müllmann
Kühlschrank
eingeräumt, als das Telefon klingelte. Ich ließ es fast fallen, so hastig
klappte ich es auf. Es war Marietta.
»Er hat
sich eingecheckt, war auch zweimal hier im Hotel, um nach Nachrichten zu
fragen. Es gab nie welche. Das Zimmerpersonal sagt einstimmig, dass das Zimmer
nicht benutzt wurde. Die Spurensicherung nimmt es jetzt trotzdem auseinander,
aber viel Hoffnung haben wir nicht.«
Tatsächlich war ich froh, ihre Stimme zu hören. Wenn er da gewesen
wäre, hätte er sich bestimmt nicht widerstandslos eintüten lassen.
»Ehrlich gesagt habe ich es auch nicht anders erwartet. Aber er wird
in der Nähe sein, wissen wollen, ob Achim Krüger aufgeflogen ist.«
»Wir hoffen, dass wir das vermeiden können, wir waren sehr diskret.«
Ich sah aus dem Küchenfenster auf die ruhige Straße vor meinem Haus.
So ruhig wir auch wohnten, es würde noch einige Zeit dauern, bis alle Nachbarn
im Bett waren. Fernsehen und Internet waren eine echte Plage. Wussten die Leute
denn nicht, dass das Licht der Monitore den Schlafzyklus verändern konnte? Es
kam mir so vor, als ob inzwischen jeder Spießer, der früher die Sportschau
gesehen hatte und eine Viertelstunde später in der Falle gewesen war, heutzutage
bis in die Puppen vor dem Bildschirm hing. So oder so war es besser, mich heute
Nacht um Ludwigs Schwager zu kümmern. Aber …
»Ich muss Schluss machen«, sprach Marietta weiter. »Ich …«
»Warte bitte … hättest du Lust, heute Abend vorbeizukommen? Ich muss
zwar noch etwas erledigen, und es könnte dauern, aber …«
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.«
»Ich auch nicht. Doch, ich weiß es. Es ist sogar eine ganz
beschissene Idee, aber im Moment ist mir das egal.«
Ich hielt den Atem an, während sie überlegte.
Sie ist dir wichtig. War ja auch
noch nie anders gewesen.
»Okay«, sagte sie. »Ich komme zu dir. Wann bist du fertig?«
»Gib mir noch eine Stunde«, antwortete ich. »Allerdings muss ich
morgen früh raus.«
»Das macht nichts«, sagte sie. »Geht mir ja nicht anders. Kann ich
bei dir übernachten? Ich bring auch eine Zahnbürste mit.«
»Äh«, meinte ich. »Heute Nacht wäre es mir nicht so recht, aber …«
»Ich verstehe schon. Nur Sex, kein Schmusen«, unterbrach sie mich.
»Ist in Ordnung. Hauptsache, du strengst dich an.« Sie sagte das so drollig,
dass ich lachen musste.
»Keine Sorge, ich werde mir Mühe geben.«
Sie legte auf und ließ mich grinsend in meiner Küche stehen. Gott,
wieso hatte ich diese Frau nur gehen lassen!
Weil du dumm warst.
Danke.
Doch als ich eine halbe Stunde später in einer Seitenstraße parkte,
von der aus ich Richters Wohnung sehen konnte, überraschte ich mich damit, dass
ich ein gewisses Bedauern fühlte. Vielleicht sogar Scham.
Oder ein schlechtes Gewissen?
Dafür, dass ich Lügen hasste, war ich viel zu gut darin. Eine gute
Lüge braucht die Wahrheit. Wer hatte das gesagt? Egal … ich hatte sowieso schon
eine Entscheidung getroffen.
Die Geschichte mit dem Hundetreter. Das war derart aus dem Ruder
gelaufen, dass es keine Entschuldigung mehr gab. Auch wenn es jetzt so aussah,
als hätte der seine Großtante wegen einem Hund unter die Erde gebracht.
Glücklicherweise. Denn jetzt
braucht es dir nicht leidzutun.
Ganz so war es nicht. In dem Fall bedauerte ich es wirklich.
Weil es zeigt, dass du nicht
unfehlbar bist.
Ich gab es ungern zu, aber genau das war das Problem. Ich hatte es
mir vielleicht selbst nicht eingestehen wollen, aber vielleicht waren damals
die Ergebnisse des psychologischen Gutachtens doch nicht so falsch gewesen. Wie
hatte es der Psychologe für mich so nett zusammengefasst?
»Sie leiden am Gott-Syndrom, Herr Schmitt. Sie sind der Ansicht,
dass alleine Sie entscheiden, was richtig oder falsch ist. Was die Amis eine
›loose cannon‹ nennen. Tut mir leid, aber ich kann Sie nur bedingt diensttauglich
schreiben, für Außeneinsätze kann ich Sie nicht freigeben.«
Warum hatte der Kerl nur den Hund getreten? Mir war es schon immer
gegen den Strich gegangen, wenn sich jemand an Wehrlosen vergriff.
Und was hast du jetzt vor? Du
willst dir Richter greifen. Du bist eine ausgebildete Kampfmaschine, und er ist
ein Säufer, der seine Frau schlägt. Er ist auch wehrlos.
Aber er schlägt seine Frau.
Klar. Das gleicht es wieder aus.
Es
war zwar richtig, dass ich vorhatte, mir Ludwigs Schwager vorzuknöpfen. Aber
anders als zuvor geplant. Vielleicht reichte Plan C ja aus. Wenn nicht, blieben
ja noch immer
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