Der Müllmann
mir die ganzen Möbel auffrisst.«
Ich musste lachen, ich hatte fast vergessen, wie oft Frau Kramer
Hunde- oder Babysitter gespielt hatte, erst für unsere Eltern, dann auch für
Elisabeth und mich. Und für George. Ohne ihre Hilfe wäre es mir nicht möglich
gewesen, mich um Elisabeth und später auch um Ana Lena zu kümmern.
»Danach sieht es jetzt nicht aus«, meinte ich lächelnd. »Der hier
schläft oder frisst und vermeidet jede überflüssige Bewegung. Ein echt fauler
Kerl. Dabei soll er ein Champion sein.«
»Wie das?«, fragte sie neugierig. Also erzählte ich ihr die gleiche
Geschichte, die mir Berthold erzählt hatte, und sie nickte nachdenklich.
»Sie können sich nicht vorstellen, was so ein Wettbewerb für ein
Zirkus sein kann«, lachte sie. »Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie es
war, als wir unsere Pferde vorgestellt haben. Man könnte meinen, es gäbe nichts
Wichtigeres auf der Welt. Dabei ging sie um uns herum in Flammen auf.« Einen
Moment sah sie in die Ferne, dann schüttelte sie leicht den Kopf. »Wollen Sie
mir sagen, was los ist?«, fragte sie. »Irgendetwas bedrückt Ana Lena, und zwar
schon vor diesem fürchterlichen Unfall. Ich hoffe, die junge Frau hat es
überlebt?«
Ich nickte langsam. »Es sieht aus, als hätte sie Glück gehabt.« Wenn
man das so sagen konnte.
»Und Ana Lena?«
»Ich denke«, sagte ich zögernd, »dass sie selbst entscheiden sollte,
ob sie Ihnen erzählt, was sie bedrückt.«
Sie setzte ihre Tasse sorgfältig ab. »Richten Sie ihr aus, dass sie
mich jederzeit besuchen kommen kann, ja?«
»Gerne. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Haben Sie Ihren
Einkauf für diese Woche schon zusammengestellt?«
»Dort liegt der Zettel«, sagte sie und wies mit ihrer Hand auf den
Beistelltisch. »Aber das müssen Sie nicht tun. Ich komme sowieso zu wenig
heraus … ich kann auch mit dem Taxi fahren.«
»Es macht mir nichts aus.«
»Danke«, sagte sie und legte dann den Kopf etwas schräg, wobei sie
mich irgendwie an eine Eule erinnerte. »Eine schöne Frau, Ihre Freundin«, sagte
sie dann. »Ich dachte schon, Sie hätten es mit den Frauen aufgegeben. Sie ist
bei der Polizei, nicht wahr?«
Was wieder einmal bewies, wie wenig Frau Kramer entging.
»Ist sie«, lachte ich. »Beides. Schön und bei der Polizei.«
»Sind Sie in Schwierigkeiten, Heinrich?«, fragte sie vorsichtig.
»Ich bin zwar alt, aber nicht ganz so hilflos, wie es erscheinen mag. Wenn ich
etwas für Sie und Elisabeth tun kann, lassen Sie es mich wissen?«
»Ana Lena und ich schaffen das schon«, teilte ich mit. Es schien sie
nicht sonderlich zu beruhigen, aber sie sagte auch nichts weiter dazu. »Aber
danke für das Angebot.« Ich sah auf George herab und seufzte. »Obwohl …«
Sie schmunzelte ein wenig. »Das ist etwas, bei dem ich nicht mehr
helfen kann«, meinte sie. »Gassi gehen machen meine alten Beine nicht mehr
mit.«
Als ich mich von ihr verabschiedete, war ich mir nicht ganz so
sicher, was sie eigentlich von mir gewollt hatte. Sie hatte noch zweimal
nachgefragt, wie es Ana Lena ging, und ich hatte das Gefühl, als ob sie schon
ahnte, was Ana Lena widerfahren war.
Als wir nach Hause kamen, lief George genau vier Schritt in die
Küche hinein und brach dann zusammen, als hätte er zehn Stunden rennen müssen.
Er wusste offensichtlich sehr genau, wie er seine Kräfte einzuteilen hatte.
Ich versuchte noch einmal, Ana Lena zu erreichen. Diesmal klappte
es, sie war gerade zusammen mit Jenny in der Krankenhauscafeteria, um etwas zu
essen.
»Ich muss heute Abend noch einmal weg«, teilte ich ihr mit.
»Ich komme schon klar«, sagte sie, und im Hintergrund hörte ich, wie
Jenny etwas sagte, das Ana Lena lachen ließ.
»Wenn du nicht gefahren wirst, dann kannst du dir ein Taxi nehmen.
Das Geld findest du in der Küchenschublade.«
»Ich fahre nachher mit Jenny mit. Wir wollen uns ein paar traurige
Filme holen, um uns aufzumuntern. Ist das okay?«
»Willst du dort wieder übernachten?«
»Das wissen wir noch nicht. Ich sag dir aber Bescheid, ja?«
»In Ordnung«, meinte ich, aber sie hatte schon aufgelegt. Die
Unverwüstlichkeit der Jugend, dachte ich. Vielleicht kam sie ja doch gut
darüber weg.
Besser als du wahrscheinlich.
Mochte sein.
Ich hatte mich dazu entschlossen, Marietta und ihren
Kollegen wenigstens zum Teil einzuweihen. Es erschien mir immer noch als das
Sinnvollste. Dennoch bereute ich es in diesem Moment, am liebsten wäre ich
sofort zum Elbhof gefahren, um mich
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