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Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
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verschwunden.
    Als ich Frank dort in seinem Blut knien sah, war ich weder geistig
noch körperlich ganz auf der Höhe gewesen. Ich hatte seine durchschnittene
Kehle gesehen und nur an eines gedacht: Wie ich Elisabeth aus der Scheiße
heraushelfen konnte. Wo keine Leiche, da kein Mord. Wenn ich zurücksah, war ich
immer noch erstaunt, dass ich es geschafft hatte, ihn hier herunterzubringen,
ohne im ganzen Haus Spuren zu verteilen. Frank war ein stämmiger, fast schon
korpulenter Mann gewesen, und ich war damals kaum imstande gewesen, mich selbst
aufrecht zu halten. Tatsächlich war ich mehr gekrochen als gegangen.
    Ich sah zu der Truhe hin, in der er lag, und fragte mich, ob ich meiner
Schwester damit überhaupt einen Gefallen getan hatte. Ich hatte noch immer
nicht die geringste Ahnung, was zwischen den beiden vorgefallen war. Frank
hatte sie regelmäßig verprügelt, so viel schien klar. Sie hatten sich pausenlos
gestritten, wobei Elisabeth mit ihrem Temperament bestimmt auch zur Eskalation
beigetragen hatte.
    Folgte man dieser Logik, hätte ich Elisabeth tot vorfinden müssen.
Anstatt froh darüber zu sein, dass es anders gekommen war, und der Polizei die
Aufklärung zu überlassen, hatte ich vielleicht alles verschlimmert.
    Damals hatte ich noch gehofft, selbst herauszufinden, was hier
geschehen war, aber sechs Jahre später war ich noch immer so schlau wie zuvor.
    Nein, es war Zeit, aufzuräumen. Ich wusste schon, wie ich die beiden
entsorgen konnte, es war nur noch eine Frage der Zeit.
    Und Elisabeth? Ob sie zurückkam … oder eben nicht, lag allein an
ihr.
    Ich ging ins andere Haus zurück, die Wand schwang leise hinter mir
zu, das Licht ging aus, und nur noch das leise Summen der Kompressoren war zu
hören.

    Der
Umschlag, den mir Gernhardt gegeben hatte, enthielt meinen alten Dienstausweis,
Unterlagen, die bestätigten, dass ich die letzten Jahre Undercover für den BND
im Dienst gewesen wäre, und einen Satz Papiere, auf denen jeweils unten links
meine Unterschrift erwartet wurde, sauber mit einem kleinen »x« gekennzeichnet.
Gernhardt hatte bereits gegengezeichnet und noch einen kleinen gelben Post-it
dazugelegt.
    »Wenn du
nicht unterschreibst, schick den ganzen Kram per Post zurück. So oder so, ich
betrachte meine Schulden als bezahlt.«
    Mit dabei war noch ein kleiner USB-Stick, auf den jemand ein Etikett
mit dem Namen Horvath geklebt hatte.
    Vier Unterschriften, dann wäre alles so, als hätte das Debakel im
Irak niemals stattgefunden. In sieben Wochen würde meine Dienstzeit offiziell
enden, und ich würde mit dem Rang eines Majors und mit blütenweißer Weste in
den Ruhestand gehen.
    Ich saß eine Weile da und starrte auf das, was ich vor mir auf meinem
Schreibtisch ausgebreitet hatte.
    Es sieht aus, als meint er es
ernst.
    Ja. So sah es aus. Die Jahre in der Zelle konnte er mir nicht
zurückgeben. Aber alles andere, die ganzen Folgen des Debakels im Irak, wäre
mit einem Federstrich beseitigt. Ich las meine Befehle durch, die in dem Moment
für mich gelten würden, in dem ich unterschrieb.
    Sie enthielten das, was Gernhardt mir bereits gesagt hatte.
Kontaktaufnahme mit den Orlovs, Absicherung unserer verdeckten Ermittlerin,
Abwehr einer Bedrohung gegen unser Währungssystem und den Auftrag, einen
gewissen Milos Horvath zu fassen oder aus dem Verkehr zu ziehen. Eine
Plastikkarte mit Kontaktnummern, Zugangscodes und Verhaltenshinweisen.
    Und ein Bündel von offenbar von einem Computer erstellten Schreiben,
die mich auf solche Dinge wie die versäumte jährliche Gesundheitsuntersuchung
oder eingereichte Spesenrechnungen erinnerten. Oder daran, dass mein Ausweis
für den Zugang zur Bibliothek abgelaufen wäre. Ein ganzer Berg von Papieren,
einfach nur um einen anderen Berg von Papieren zu ersetzen, der die letzten
Jahre gegolten hatte.
    Ich konnte den Amtsschimmel beinahe wiehern hören, als die Drucker
heiß liefen, um das nachzureichen, was die Bürokratie in den letzten sechs
Jahren an mir versäumt hatte.
    Ich zog die Schublade auf, nahm den Füller und setzte an … und
zögerte.
    Du vertraust ihm nicht.
    Das war milde ausgedrückt. Meine Nackenhaare stellten sich auf, wenn
ich nur daran dachte, zu unterschreiben. Ich griff zum Telefon und wählte eine
Nummer, die ich schon vergessen geglaubt hatte. Es war viel zu spät für normale
Bürozeiten, aber das hatte den General auch vorher nie gestört. Vielleicht
brauchte er einfach auch keinen Schlaf.
    »Heinrich«, begrüßte mich Generalleutnant

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