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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Molloy
begonnen. Und er beschrieb ein kleines Beispiel für die von ihm durchgeführten linguistischen Umwandlungen: »›Je fais dans son vase‹ wird zu ›I piss and shit in her pot‹. Ich hoffe, das liegt nicht außerhalb des Spielraums von ›faire‹.« [644]
    Und ich denke, dass diese Deformation, die Beckett dem Original zufügte, wichtig ist. Er versuchte nun, einen angemessen kränklichen Stil im Englischen zu erfinden, der zwar sein Französisch imitierte, aber gleichzeitig ein neues Original ergab – jenes Original, das er nicht hatte schreiben können, ohne es zuerst in einer Fremdsprache geschrieben zu haben. Die Defekte von Übersetzungen unterscheiden sich nicht von den Defekten eines Originalwerks. Und so schickte Beckett seinem amerikanischen Lektor Barney Rosset bei Grove Press einen Bericht über seinen Fortschritt mit all den Übersetzungen, die er in Arbeit hatte und fügte noch hinzu: »Ich hatte überlegt, ob ich es selbst wieder mit dem Englischen probieren sollte, aber da gehe ich nur dem Problem aus dem Weg, wie auch mit allem anderen, was ich anfasse … Es ist schwer, weiterzumachen, wenn man alles hasst und verwirft, sobald man es formuliert hat, und während man es formuliert und bevor man es formuliert hat.« Und er endete mit einem seiner üblichen, obligatorischen, ironischen, opernhaften Widersprüche: »Ich bin furchtbar müde und fühle mich wie betäubt, aber noch nicht müde und betäubt genug. Zu schreiben ist unmöglich, aber noch nicht unmöglich genug. Auf diese Weise betuppe ich mich im Moment.« [645] Die praktischen Details waren eigentlich viel komplizierter und prosaischer: »Ich bin weit entfernt davon, ein guter Übersetzer zu sein, und mein Englisch ist rostig, aber wie es der Zufall will, kann ich immer noch das absonderliche Englisch produzieren, das mein absonderliches Französisch verdient.« [646] Dieses »rostig« war letztendlich der springende Punkt. Sein dem achtzehnten Jahrhundert entliehenes Englisch war das perfekte antiquierte Englisch für seine durchgeknallten Figuren.
    Es ist möglich, ein kleines Diagramm zu erstellen. Beckett hatte während der 1930 er und 1940 er Jahre immer gerne Übersetzungen aus einer zweiten in seine erste Sprache angefertigt: Texte von Rimbaud, zum Beispiel, oder von Apollinaire. Diese Übersetzungen folgten dem verbreiteten Ideal, dass man mit einer grundlegenden Sorgfalt vorzugehen habe. Dann begann er in den 1940 ern Originale in einer Zweitsprache zu schreiben. Das war die erste Phase seiner neuen Internationalität. Anschließend übersetzte er diese in der Fremdsprache geschriebenen Originale in seine Muttersprache, wobei er ein neues Original schuf.
    Aus diesem Grund landete er schließlich bei dem Paradox der Serien. Denn wenn man ein zusätzliches Original schafft, distanziert man sich gleichzeitig von dem Konzept der Originale und auch von der Vorstellung, dass ein Werk überhaupt beendet werden kann. Mit anderen Worte erlaubte es dieser Unfall Beckett, seinem idealen Werk so nah zu kommen, wie es überhaupt möglich war: ein völliger Widerspruch. Jeder Text ist eigentlich zwei Texte: ist eigentlich eine Serie. Daraus wurde die letzte Phase von Becketts Schreibprozess, während der er sich mit einer seltsam bilingualen Position anfreundete – in der ein Werk entweder auf Englisch oder Französisch geschrieben werden konnte, woraufhin Beckett es dann in die jeweils andere Sprache übertragen konnte. So dass er 1968 kein Problem damit hatte, aus einem Original, das in seiner Muttersprache geschrieben worden war, wie zum Beispiel
Film
, ein Original in einer Fremdsprache zu machen. Und die Moral seiner Geschichten war immer, dass die Möglichkeit eines akrobatischen Umgangs mit Sprache bestand. So dass Beckett, wenn er von einer Fremdsprache in seine Muttersprache übersetzte, dies immer auf völlig treulose Weise tat – wie zum Beispiel im Fall der französischen Aphorismen von Chamfort aus dem achtzehnten Jahrhundert, die er zu sich auflösenden Nachahmungen von englischen Reimpaaren im Stil des achtzehnten Jahrhunderts verwandelte … [56]
    Jedes Werk verliert sich irgendwo in der Ferne – nähert sich Becketts endlosem Nichts an, seinem endlosen Nirgendwo.
    Es ist daher nur einleuchtend, dass sich diese Paradoxa posthum bemerkbar machen sollten, in Form jener Probleme, mit denen die Übersetzerin Barbara Wright konfrontiert war, als sie ein Orginal, das in einer Fremdsprache geschrieben worden war,

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