Der multiple Roman (German Edition)
Und so fügte Beckett in seinem Abschnitt über Joyces Sprache Folgendes hinzu: »Man muß vernünftigerweise zugeben, daß ein internationales Phänomen in der Lage sein könnte, sie zu sprechen, ebenso wie 1300 niemand außer einem interregionalen Phänomen die Sprache der Göttlichen Komödie gesprochen haben konnte.« [638]
Beckett hatte die Internationalität daher immer als eine Möglichkeit angesehen, um Sprache in direkten Ausdruck umzuwandeln. Und in den 1940 er Jahren entwickelte Beckett seine eigene Form von Internationalität – indem er seine Werke auf Französisch schrieb.
Ich muss immer wieder darüber nachdenken, was das Französische für Beckett bedeutet haben mag. Und wieder einmal, denke ich, ist der Schlüssel James Joyce. In der Zeitschrift
Paris Review
bemerkte die polyglotte Schriftstellerin Lydia Davis einmal, als sie über die Probleme sprach, die sich ergaben, wenn man vom Französischen ins Englische wechselte, die Franzosen hätten James Joyce zufolge – der Wyndham Lewis zufolge ein »gesetztes« Lehrbuch-Französisch schrieb – »das relativ karge Wesen ihrer Sprache durch die Entwicklung eines großartigen Stils ausgeglichen – indem sie sich Balance und Genauigkeit mit bestmöglicher Wirkung zunutze machten. Er sagte: ›Ein recht geringes Instrument vielleicht, verglichen mit der italienischen oder englischen Sprache, aber auf welch wunderbare Art sie sich seiner bedienen.‹« [639] Und dies, um es etwas sarkastischer auszudrücken als Joyce, war genau das, was Beckett so hilfreich fand: die abstrakte Korrektheit des Französischen. [53] Diese Sprache stellte ihm ihre triste Geradheit, ihre Tonlosigkeit zur Verfügung, die – verglichen mit dem Beerdigungsbarock von Becketts normaler englischer Prosa – eben eine Form von Schwäche war.
Ein paar Jahre später schrieb Beckett an den Kritiker Hans Naumann, bemüht, dessen Fragen auszuweichen: »Seit 1945 habe ich nur auf Französisch geschrieben. Warum dieser Schritt? Es war keine bedachte Änderung. Es war an der Zeit, etwas zu ändern, zu sehen, nichts komplizierter, als das, jedenfalls dem Anschein nach.« [640] Es war ein für ihn typisches Ausweichverfahren. Denn auf der anderen Seite, kokettierte er typisch konträr, möge es durchaus »wichtige Gründe« für den Sprachwechsel gegeben haben. »Ich selber kann einige halb bestimmen, jetzt, wo es zu spät ist, um wieder zurückzukehren. Aber ich ziehe es vor, sie im Halbdunkel zu lassen. Ich werde Ihnen aber trotzdem einen Hinweis geben: Es geht um das Bedürfnis, schlecht ausgerüstet zu sein.« [641]
Natürlich ist das mehr als nur ein
Hinweis
. Seine gesamte Strategie steht dahinter. Kein Wunder, dass er dachte, er würde nie wieder zum Englischen zurückkehren. (Am Rand eines Briefes an Duthuit vom 28 . Juni 1949 , in dem er versucht, seine Probleme mit den
Three Dialogues
zu erklären, schrieb Beckett: »Vielleicht ist es das direkte Schreiben in der englischen Sprache, das dazu führt, dass ich mich innerlich verknote. Diese furchtbare Sprache, die ich immer noch viel zu gut kenne.« [642] ) Er fühlte sich wohl in seinem fehlerhaften Medium –, in dieser Sprache, die ihm das minutiöse Potential, eine Sache völlig zu erschöpfen, das den Siechenden, den Sterbenden oder den Verrückten gegeben ist, offen legte. [54]
6
Aber aus dem plötzlichen Erfolg von Becketts französischen Werken ergab sich das Problem ihrer Übersetzung. Und somit begann die dritte Phase von Becketts sprachlicher Internationalität: mit seiner Entscheidung, seine eigenen Werke zurück ins Englische zu übersetzen, in die Sprache, die er ursprünglich zu vermeiden versucht hatte. Zu übersetzen, merkte Beckett, hieß, ein neues Original zu schaffen. Und da er die Sprache beherrschte, erschien es ihm verrückt, dies nicht eigenhändig zu tun. Er war sein eigener multipler Besitzer. 1951 hatte er in einem Brief an Duthuit von seiner Übersetzung eines Textes von Blanchot erzählt, der sich mit Sade befasste und an der er gerade arbeitete: »Mein Englisch verschlechtert sich erkennbar. Ich fühle mich jetzt nur noch dann sicher, wenn ich eine Art Pastiche eines Stils des achtzehnten Jahrhunderts schreibe …« [643] Sein Englisch, das war seine Sorge, verkam und wurde langsam zu einer Art Kapok. Aber durch das umgekehrte Prisma seines gammlerischen Französisch betrachtet, war dies vielleicht gar keine so schlechte Sache. [55] Zwei Jahre später hatte Beckett bereits
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