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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Empfangens einließe«. [629] Wie üblich ging es ihm darum, das Schreiben seiner Funktion des Ausdrückens zu berauben. Die Malerei war nur ein Alibi. Aber Becketts Text verlief sich letztendlich nur in Oxymora, in begrifflichen Widersprüchen – und diese von ihm selbst geschaffene Farce gipfelte im »Dialogue« über van Velde. Beckett fasste die grundlegende Situation so zusammen – in mit viel Mühe lebendig gestalteter Prosa: »Es ist die Lage eines hilflosen Menschen, der nicht handeln, in diesem Falle nicht malen kann, obgleich er malen muss. Es ist das Handeln eines Menschen, der hilflos, unfähig zu handlen, dennoch handelt, in diesem Falle malt, da er malen muss.« Dann folgt eine Kunstkritik, die dem Slapstick so nahe kommt wie nur irgend möglich:
    D. – Warum muß er malen?
    B. – Ich weiß es nicht.
    D. – Warum ist er unfähig zu malen?
    B. – Weil es nichts zu malen gibt und nichts, womit man malen kann. [630]
    Daraufhin fragt Duthuit: »Einen Moment! Wollen Sie damit etwa sagen, daß Bram van Veldes Malerei inexpressiv sei? B. – (vierzehn Tage später) Ja.« [631] An diesem Punkt beginnt der traurigste und großartigste Teil des Dialogs (»Und versuchen Sie, daran zu denken«, fügt Duthuit hilfreich hinzu, »daß wir [nicht] … über Sie … sprechen …« [632] ):
    D. – Ist ihnen klar, daß diese Behauptung absurd ist?
    B. – Das hoffe ich.
    D. – Was Sie sagen, läuft auf folgendes hinaus: Die Ausdrucksform, die unter dem Namen Malerei bekannt ist, da wir aus dunklen Gründen von Malerei sprechen müssen, hatte auf Bram van Velde zu warten, um von dem Irrtum befreit zu werden, in dem sie sich so lange und so wacker abgemüht hatte, dem Irrtum, daß es ihre Aufgabe sei, mittels Farbstoffen etwas auszudrücken.
    B. – Andere haben gemerkt, daß Kunst nicht notwendigerweise Ausdruck ist. Aber die zahlreichen Versuche, die Malerei unabhängig von ihrem Anlaß zu machen, führten nur dazu, ihr Repertoire zu erweitern. Ich möchte sagen, daß Bram van Velde der erste ist, dessen Malerei des Anlasses in jeder Gestalt und Form, sowohl des ideellen als auch des materiellen, beraubt oder, wenn Sie wollen, entledigt ist … [633]
    Die Geschichte der Malerei, schreibt Beckett, und eigentlich meint er die Geschichte des Schreibens, sei die Geschichte ihrer Versuche, »echteren, umfassenderen und weniger ausschließenden Beziehungen zwischen Darsteller und Dargestelltem« zu dienen. Das bedeutete, dass sie bisher immer gescheitert war. Während van Velde den ultimativen Schritt gemacht hat: »Der erste, der sich ganz dem unbezwingbaren Fehlen von Beziehungen unterwarf, wegen des Fehlens von Bezugspunkten oder, wenn Sie wollen, angesichts nicht verfügbarer Bezugspunkte, der erste, der eingestand, daß Künstler sein in einem Maße Scheitern ist, wie kein anderer zu scheitern wagt, daß das Scheitern seine Welt ist und seine Weigerung Desertion, Kunstgewerbe, gute Haushaltsführung, leben.« Und trotzdem. Und trotzdem. »Ich weiß wohl«, fügt Beckett hinzu und kehrt zu seinem Paradox aus dem Brief an Duthuit zurück, »daß man, um sogar diese schreckliche Sache zu einem annehmbaren Abschluß zu bringen, jetzt nichts anderes zu tun braucht, als aus dieser Unterwerfung, aus dieser Duldung, aus dieser Treue zum Scheitern einen neuen Anlaß zu machen, einen neuen Bezugspunkt, und aus diesem unmöglichen und nötigen Handeln ein expressives Handeln zu machen, sei es auch nur von sich selber, von seiner Unmöglichkeit, von seiner Nötigkeit.« [634] Aber so weit wird er nicht, oder, wie er sagt, kann er nicht gehen. »Ich weiß, dass ich mich und mit mir vielleicht einen Unschuldigen in das versetze, was man, wenn ich mich nicht irre, eine wenig beneidenswerte, Psychiatern wohlvertraute Lage nennt.« [635] In diesem seltsam verletzlichen Satz kommt die ganze Traurigkeit an die Oberfläche. Denn es ist natürlich möglich, diesen Sprung zu machen. Allerdings ist es eine Form der Sehnsucht – die abstrakte Literatur. Es ist eine Art von Flucht. Denn in Wirklichkeit besteht die Möglichkeit einer Literatur ohne Tiefe nicht wirklich. Von der rein abstrakten Malerei einmal ganz abgesehen. Wenn man sich dies zum Ideal machen will, muss man eine gewisse Widersprüchlichkeit der Begriffe akzeptieren. Die Form kann nie gleich dem Inhalt sein.
    Die Sichtweise der Modernisten war aber natürlich eine andere. Ihnen zufolge war in Joyces
Work in Progress
oder in Prousts
Auf der Suche nach der verlorenen

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