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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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in Becketts Muttersprache übersetzen sollte, jetzt, da Beckett tot war. In ihrer Anmerkung zu Becketts Stück
Eleutheria
schrieb sie:
    Jeder Übersetzer beneidet den Selbst-Übersetzer immer unendlich, denn er besitzt die völlige Freiheit, alles zu ändern, was er verändern möchte, wenn es in der Sprache, in die er übersetzt, besser klingt. Als er mit Patrick Bowles an der Übersetzung von
Molloy
arbeitete, sagte Beckett Bowles: »Im Englischen würde man das so nicht sagen, man würde es anders ausdrücken.« Und Richard Sevear, der mit ihm an
La Fin
arbeitete, schrieb: »Ich hätte mir nicht die Freiheiten nehmen können, die er sich nahm.« [647]
    Aber, denke ich immer wieder: warum eigentlich nicht?
    7
    Denn die Geschichte Samuel Becketts ist nicht frei von Skandalen. Zuerst einmal war es skandalös, dass ein rein modernistischer Stilist die Sprache wechselte. Dann war es auf der einen Seite skandalös, dass sein Stil dabei gleich blieb, aber auf der anderen war es genauso skandalös, dass dieser einfache Stil sprachlich in zwei gespalten war. Aber der noch tiefergehende Skandal ist an anderer Stelle zu finden, und er ist komischer.
    Beckett dachte, er stelle das Nichts dar. Aber dabei handelte es sich um einen leeren Wunsch, um eine Ausflucht. In Wirklichkeit widerlegte Becketts Experiment einzig und allein ein magisches Ideal: das Ideal der Verschmelzung von Form und Inhalt. Stattdessen verwies sein internationaler Stil auf eine andere Zukunft: auf die schwierige Realität multipler Eigentumsverhältnisse – multipler Originale. Beckett war so vorsichtig, was Betrügereien anging – dabei frage ich mich, ob sein Werk nicht eigentlich selbst auf närrische Weise zeigt, dass die Frage der Betrügereien eigentlich ganz irrelevant ist. Durch sein internationales Wesen zersetzt es den Begriff der Authentizität.
    Denn was ist das Englisch von Becketts Übersetzungen letztendlich? Ein gefesselter Barockstil. Wie in seinen frühen Werken, in denen alles mit Joyce in Beziehung stand, baute dieser Stil auf ein joycesches Durcheinander von Tonfällen. Aber in den Übersetzungen wird dieser Abwechslungsreichtum so ausgedünnt, dass nur eine Miniaturversion seines stilistischen Repertoires übrig bleibt: ein sehr formeller Stil und Obszönitäten; eine Syntax, die allem Erschöpfenden und den Listen verfallen war; und vor allem der Gebrauch von Verneinungsformen und Oxymora. So dass in
Molloy
, um nur eines von endlosen Beispielen zu nennen, der einfache französische Ausdruck
l’avant-dernier
im Englischen zu dem auf hinreißende Weise uneleganten
the last but one but one
wird. Das ist witziger als das Französische, aber Beckett hätte nicht ohne die Vorlage der weniger reichen französischen Formulierung darauf kommen können.
    Das zweite englische Original ist also mit anderen Worten eine Form der Wiederauferstehung für Becketts wenig energetischen Fortsetzungscharaktere. Es erlaubt einer kleinen Anzahl von Tönen, in eine tonlose Struktur einzudringen. Es macht die Oberfläche porös vor lauter Doppeldeutigkeiten. Und auf dieses Weise schaffte er es, die englische Sprache etwas weniger abstrakt zu machen – durch die flickenteppichartige Struktur seiner Oberflächen. Und Beckett ist ein großer Künstler der Oberfläche, der bedrückenden Worttreue und der Nüchternheit. [57]
    Lange vorher, im Jahre 1934 , zu Beginn seiner Karriere, hatte Beckett in einem Artikel über »Recent Irish Poetry« über den Zustand der Moderne geschrieben, über die Zersetzung des Objekts. Aber das Besondere an seiner eintönigen Schreibe war, dass er gerade in dem Versuch, dies zu zeigen, nur die anderen Elemente auseinandernahm –, wie zum Beispiel die Erinnerungsfähigkeit, das Selbst oder die Vorstellungskraft. Er zeigte, wie sehr die Literatur auf eine Philosophie des Gegenstands angewiesen war. Das war es, was er zeigte, mit dem Wagestück seiner gescheiterten Form. Es bestand nicht aus Hieroglyphen. Stattdessen war es dem Schlamm ähnlich, der aus Dickens’ Themse quatschte – wie Weltschlamm, der immer wieder durch jene Löcher sickerte, die Beckett in die Sprache einbauen wollte. Seine Entscheidungen für das Französische und dafür, seine eigenen Werke zu übersetzen, waren die gipfelnden Schönheiten seines einzigartigen, multiplen Stils. Dieses Stils, der auf so stilvolle Weise versucht, gar kein Stil zu sein.

Übersetzen
    1
    Vladimir Nabokov wurde 1899 in Sankt Petersburg geboren und wuchs englisch-,

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