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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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zum einen um die Liebesaffäre zwischen Eugen und Tatjana, zum anderen aber auch um das Spiel, das er mit der Romanform trieb – wo eine entspannte Improvisation durch ein System intensiver Einschränkungen ausgeübt wird. Und die komplizierten, komischen, feinen Reime waren ein Teil dieser parodistischen Zergliederung der Romanform – indem sie sie weiter von der Welt der prosaischen Ernsthaftigkeit entfernten. Wenn also die Reime weggelassen werden, verschwindet auch ein großer Teil des von dem Gedicht intendierten Gegenstands. Aber es ist nicht so leicht, die Reime im Englischen zu erhalten. Dies liegt teils daran, dass Reime im Englischen oft andere kulturelle Konnotationen haben als im Russischen; und vor allem sind Reime eine so große Einschränkung, dass unweigerlich zu einem gewissen Grad die Präzision der ursprünglichen Bedeutung aufgegeben werden muss.
    Zwei Möglichkeiten stellen sich also Nabokov zufolge dem Übersetzer von Puschkins Roman: Er konnte entweder den Gegenstand genau treffen und die Form vernachlässigen; oder er konnte die ursprüngliche Form des Romans imitieren und dabei versuchen, so viele Elemente des Gegenstands abzubilden, wie es ihm nur irgend möglich war. Die Gefahr dieser zweiten Möglichkeit war die Gefahr, einem Verschönerungswahn zu verfallen. Scheinbar durch den ehrlichen Wunsch legitimiert, Form und nicht Inhalt reproduzieren zu wollen, kann der Übersetzer all jene Passagen ignorieren, die ihm im Originalgedicht zu seltsam, zu wenig zeitgemäß vorkommen. Oder, um es vielleicht pragmatischer auszudrücken als Nabokov: Der limitierende Faktor im zweiten Fall ist Talent – angesichts der riesigen Schwierigkeit, formale Mimikry mit der totalen Einbeziehung des dargestellten Inhalts zu kombinieren.
    Ganz zu Recht war eines der Dinge, die Nabokov am meisten an Übersetzungen hasste, das Klischee von der glatten Übersetzung. Ein paar Jahre nach dem Erscheinen seiner Ausgabe von Lermontow sagte er in seinem Vorwort zu Puschkin immer noch das Gleiche: »Ich habe mich immer über das stereotype Kompliment amüsiert, das ein Rezensent dem Autor einer ›neuen Übersetzung‹ macht. Er sagt: ›Sie liest sich flüssig.‹ Mit anderen Worten, der Zeilenschinder, der das Original nie gelesen hat und dessen Sprache nicht kann, lobt eine Imitation als lesbar, weil eingängige Platitüden darin jene Vielschichtigkeiten ersetzt haben, von denen er nichts weiß.« Und so kommt Nabokov zu seiner berühmten Schlussfolgerung: »Wenn sich der Übersetzer anschickt, den ›Geist‹ und nicht den bloßen Sinn des Textes wiederzugeben, beginnt er, seinen Autor zu verraten.« [713] Die besten Übersetzungen scheuen sich dieser Theorie nach nicht, wie Übersetzungen zu klingen: Sie geben den Stil auf und übertragen den Inhalt. Dies, so Nabokov, mache eine wortwörtliche Übersetzung aus; und nur diese eine Methode sei akzeptabel: »Meinem Ideal der Wörtlichkeit habe ich alles geopfert (Eleganz, Wohlklang, Klarheit, guten Geschmack, heutigen Wortgebrauch und sogar die Grammatik), was der gespreizte Nachahmer höher schätzt als die Wahrheit. Puschkin hat Übersetzer mit Pferden verglichen, die an den Poststationen der Zivilisation gewechselt werden. Der größte Lohn, den ich mir vorstellen kann, wäre, daß Studenten mein Werk als
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benutzen.« [714] [61] Dies kann kaum noch als Beschreibung einer Übersetzung gelten: Statt ihrer herkömmlichen Funktion nachzukommen und das Original zu ersetzen, war sie jetzt stattdessen bloß noch ein vermittelnder Sinnträger, eine Bedienungsanleitung für das Original.
    Aber nach Nabokovs Angeberei, dem lauten Gewieher seines Ponys, folgte im nächsten Absatz sofort etwas noch Beunruhigenderes. »Eine perfekte zwischenzeilige Übereinstimmung ist allerdings noch nicht erreicht worden«, gab Nabokov zu. »In einigen Fällen müssen gewisse Bedürfnisse der Konstruktion erfüllt werden, damit die Übersetzung Sinn macht, die Veränderungen im Zuschnitt und in der Positionierung des englischen Satzes nötig macht.« [715] Es ist eine kleine Ausnahme aber es ist eine wichtige. Selbst Nabokov konnte nicht auf so sorglose Weise wortwörtlich sein, wie er es gerne wollte: Und sobald diese Wahrheit einmal ans Licht gekommen ist, kann alles Weitere folgen. Sobald die verschiedenen Grade von Wortwörtlichkeit in Übersetzungen identifiziert werden können, sobald offensichtlich ist, dass keine Übersetzung je völlig wortgetreu sein kann, können die

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