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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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ist wenigstens eine Methode«, sagte Nabokov über seine Philosophie des Übersetzens. [726] Und er hatte recht. Aber es gibt auch noch andere Methoden – wie jene Methode, die Nabokov in seinen frühen Übersetzungen angewandt hatte. Aber das war zu einer Zeit, als Nabokov gerade erst in Amerika angekommen war. Als er noch nicht zu dem traurigen Schluss gekommen war, dass die russische Emigrantendiaspora keine Literatur aufrechterhalten konnte, und auch noch nicht zu dem ebenso traurigen Schluss, dass die Vergangenheit der russischen Literatur Gefahr lief, völlig zu verschwinden.
    Dies ist der Grund für Nabokovs Heftigkeit. Irgendwann zwischen 1944 und 1964 , als er seine Übersetzung von Puschkin fertiggestellt hatte, hörte er auf, daran zu glauben, dass so etwas existierte wie eine Gemeinschaft der Leser. Stattdessen widmete er seine Zeit der Erhaltung einer gefährdeten Literatur. In der Isolation seines Exils wurde das Übersetzen für Nabokov zu einer Kunst, die nach ethischen Standards beurteilt werden musste.
    In seinem Kommentar über die Verfasser von Überarbeitungen sagte Nabokov, dass »als unvermeidliches Ergebnis ihrer verfehlten Bemühungen etwas entsteht, das sehr nach Grausamkeit und Betrug aussieht«. [727] Und wir sollten genau über jene Trauer nachdenken, die sich in Nabokovs Vokabular widergespiegelt – die implizite Verletzlichkeit dieses Wortes
Grausamkeit
 –, genauso, wie wir über die Verletzlichkeit von Kunderas Angriff nachdenken sollten, den er aus dem Exil auf alle Hersteller von Überarbeitungen startete. (Zwei Jahre später bezeichnete Nabokov einen Autor, von dessen Originalwerk eine Überarbeitung angefertigt worden war, als
gequält
.) Der Anfang seines Gedichtes »On Translating Eugene Onegin« von 1954 zeigt seine unumstößliche moralische Empörung:
    What is translation? On a platter
    A poet’s pale and glaring head,
    A parrot’s screech, a monkey’s chatter,
    And profanation of the dead. [728]
    Aber schließlich beschränkte sich Nabokovs Anliegen, dass man im Sinne der Toten handeln müsse, nicht nur auf Übersetzungen. Und ich erinnere mich an Walter Benjamins traurigen Aphorismus, entstanden im Berlin der 1930 er Jahre – wo auch Nabokov kurzzeitig lebte: »Nur dem Geschichtsschreiber wohnt die Gabe bei, im Vergangenen den Funken Hoffnung anzufachen, der davon durchdrungen ist: auch die Toten werden von dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein. Und dieser Feind hat zu siegen nicht aufgehört.« [729] Die Geschichte von Nabokovs Übersetzungen ist nicht von der ausgedehnteren Geschichte seines Stils trennbar, ist ein brennendes Gefühl der Verbundenheit mit der ewig schwindenden, sterblichen Schönheit der Wirklichkeit.
    7
    Als er in Amerika angekommen war, schrieb Nabokov einen Beitrag für das russische New Yorker Emigrantenblatt
Novoje Russkoje Slovo
. Jeder Schriftsteller, so Nabokov, sei auf gewisse Weise Emigrant. Vor allem russische Schriftsteller, fuhr er fort, »haben ihre Heimat immer auf nostalgische Weise geliebt, sogar dann, wenn sie sie in Wirklichkeit nie verlassen hatten. Nicht nur Kischinau oder der Kaukasus kamen ihnen vor wie ein fernes Exil, sondern auch der Newski-Prospekt.« [730] Er meinte natürlich eigentlich sich selbst. Nabokov zufolge war alle Kunst elegisch, und somit waren es alle Übersetzungen auch. Oder aber, wie Van Veen es in Nabokovs spätem Roman
Ada oder das Verlangen
ausdrückt, die Wirklichkeit »[war und ist] immer eine Form von Gedächtnis … sogar im Moment der Wahrnehmung«. [731] Denn Nabokov war ein Mystiker – aber ein Alltagsmystiker – der die Handlung hinter der scheinbaren Handlung ausmachen konnte, den Traum, aus dem die Wirklichkeit besteht. Genauso wie in seinen fiktiven Werken »eine zweite (Haupt-)Geschichte mit der oberflächlich sichtbaren, halbtransparenten Geschichte verwoben oder unter sie gelegt ist« [732]  – welche die schwindenden Ebenen der Wirklichkeit nachahmt.
    Die Wirklichkeit, schrieb Nabokov, sei »eine endlose Folge von Stufen, Wahrnehmungsebenen, Doppelbödigkeiten und infolgedessen unermeßlich, ungreifbar …« [733] Sowohl das Schreiben als auch das Übersetzen basierte somit auf der gleichen Linguistik: auf einer endlosen Lücke zwischen Wort und Welt. Das Bild, welches er von sich selbst zeichnet, beim Übersetzen von Puschkin – als »hagere[r], ungraziöse[r] Anhänger der Wörtlichkeit«, der »sich bei der Suche nach dem verborgenen Wort vorwärts tastet, das

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