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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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beispielsweise als mutiger und besser herausstellen, ihm in der deutschen Übersetzung einfach einen neuen Namen zu geben, der genauso gewöhnlich ist wie Akaki. Walter, zum Beispiel. So dass die Sätze sich vielleicht so anhören könnten:
    Auf der Straße hatte Walter das Gefühl, als träume er.
    – Alter, so ist das also, – sagte er zu sich selbst, denn er war ganz alleine, – ich hätte wirklich nicht gedacht, dass alles so endet … – und dann, nach einer langen Stille, fügte er hinzu: ich meine, Alter! Klar, ok, jetzt ist es so, aber ich hätte mir wirklich nicht einmal ausmalen können, dass es so Hals über Kopf passieren würde. – Dem folgte nochmal eine lange Stille, die endete, als er lallte: – Aber so! Da soll mich doch der … Ich meine, als … Also wie sowas halt nur passieren konnte!
    Gogols Geschichte gab den unansehnlichsten Dingen eine poetische Struktur. Die Grundlage seines Stils war die Belastung der Wirklichkeit durch die sie beschreibenden Wörter. Es ist genau diese Besonderheit, die alle Übersetzungen seines Werkes (und die Übersetzungen der Werke all jener anderen Schriftsteller, die Brillanz durch die Kombination von farblosen Elementen erzeugen können) so kompliziert und anstrengend für den Übersetzer macht. Es bedeutet, dass die Idee der wörtlichen Übersetzung vielleicht etwas angepasst werden sollte.
    Sogar Akakis Nachname ist ein Problem. Sein Nachname sollte ursprünglich Tischkewitsch lauten, nicht Baschmatschkin – ein normaler Name, kein besonderer. Erst später reduzierte Gogol seinen Helden zu einer Einzigartigkeit, indem er ihn erst Baschmakewitsch und schließlich Baschmatschkin nannte – Herrn Schuhlein, Herrn Pantöffelchen.
    Auf Russisch ist dieser Name Baschmatschkin komisch, ein andauerndes Giggeln. Während er im Usbekischen oder im Italienischen, wenn man ihn denn so lässt, wie er ist, einfach nur russisch ist – höchstens ein Stirnrunzeln.
    Ja, um wörtlich zu sein, sinngetreu, muss eine Übersetzung immer auch eine Überarbeitung sein. Gogols Stil ist, wie jeder Stil, bereits eine Formveränderung von Sprache – genau wie die Wirklichkeit, Gaddas Formulierung zufolge, eine Formveränderung der Wahrnehmung ist. Oder, wie Proust einmal schrieb, alle Bücher werden in einer Art Fremdsprache geschrieben. So dass man einen Stil, wie auch einen Witz, nicht wörtlich übersetzen kann, um ihn in eine andere Sprache zu übertragen. Stattdessen muss das Arrangement der Effekte reproduziert werden. Und ich erinnere mich an einen wunderbaren Satz von Paul Valéry – in dem er über die Kunst der Übersetzung von Lyrik redet: »Dabei handelt es sich um wahres
Übersetzen
, was bedeutet, den
Effekt
einer bestimmten
Ursache
so ähnlich wie möglich wiederherzustellen – hier, im Falle eines spanischen Textes, mithilfe einer anderen Ursache, als im Französischen …« [63] [717]
    4
    Zwanzig Jahre vor seiner Übersetzung von Puschkin, 1941 , als er seit zwei Jahren in Amerika lebte, schrieb Nabokov einen Artikel über das wörtliche Übersetzen für die
New Republic
. Teils tat er dies, weil er zu dieser Zeit viel über das Übersetzen nachdachte, denn er hatte gerade russische Gedichte des neunzehnten Jahrhunderts ins Englische übersetzt. Aber er tat es auch, weil das Übersetzen zwangsläufig ein zentraler Teil von Nabokovs Betrachtungen über den Stil war.
    Jede Theorie des Stils hat irgendwo auch eine entsprechende Theorie des Übersetzens.
    Nabokov lieferte dem Leser die »erste Verszeile aus einem von Puschkins verschwenderischsten Gedicht«, welche er als »
Ja pom-nju tschud-no-je mg-no-wen-ije
« transkribierte. Und obwohl »ihre Verkleidung … sie recht unhübsch erscheinen [läßt]«, behauptete Nabokov, dass diese Wörter vor lauter Assoziationen musikalisch und voll Spannung seien. Aber, fuhr Nabokov fort, »[w]er jetzt ein Wörterbuch zur Hand nimmt und diese vier Wörter nachschlägt, erhält folgenden nichtssagenden, alltäglichen und ausdruckslosen Satz: ›Ich erinnere mich an einen wunderbaren Augenblick.‹« So kam Nabokov 1941 zu dem Schluss, »daß der Begriff ›wörtliche Übersetzung‹ mehr oder weniger Unsinn ist«.
    Die wörtliche Übersetzung einer Zeile ist gar keine Übersetzung, weil sie die wichtigste Sache aufgibt – die Konnotationen und die Phonetik der Wörter: Sie vernachlässigt einen zentralen Aspekt des poetischen Stils. Wenn es keine Möglichkeit gibt, alle Konnotationen des Klangs und der

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