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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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seiner leidenschaftlichen Wahrheitsliebe genügt« [734] ist genetisch verwandt mit seinem Bild des halb-russischen, halb-englischen Schriftstellers Sebastian Knight, der auf Englisch schrieb, irritiert durch »das markverzehrende Gefühl, daß das rechte, das einzige Wort am anderen Rand in nebliger Ferne wartet«. [735] In
Das wahre Leben des Sebastian Knight
vertritt der Autor die Auffassung, dass Sebastian Knight »jene sprachlichen Geburtswehen erspart geblieben wären, wenn er seine ersten Werke auf Russisch geschrieben hätte«. [736] In Bezug auf Nabokov stimmt das nicht. Mit ihrer exilartigen Einstellung gegenüber dem Wahrheitsgehalt des Wirklichen in einer jeden Sprache, müssen sein Stil und seine Theorie des Übersetzens als riesige Anstrengungen der sprachlichen Treue angesehen werden.
    Die wichtigste Lehre beim Übersetzen, wie bei jedem Phänomen des Exils, ist die Demut.
    Schließlich war Nabokovs Porträt eines Schutzheiligen der Literatur das von Pnin, einem leidenschaftlichen Vertriebenen – einem Russischprofessor, der auf einem amerikanischen Campus lebt. [65] Ein »Mann von großem moralischen Mut, ein reiner Mann, ein Gelehrter und ein treuer Freund, auf gelassene Art weise, der einer Liebe treu, der nie von jenem hohen Lebensweg abwich, den Echtheit und Anstand auszeichneten«, schrieb Nabokov über Pnin. »Aber behindert und gehemmt durch seine Unfähigkeit, eine Sprache zu lernen, erscheint er vielen, die durchschnittlichen Intellekts sind, als eine Witzfigur …« [737] Und es ist wahr: Sogar an seinen schlimmsten Tiefpunkten ist Pnin immer noch grausam komisch: »›
Ei chaff naffing‹
, klagte Pnin und holte zwischendurch laut und feucht Luft, ›ich chab nix mehr,
naffing, naffing!
‹« [738]
    Nobel und lächerlich wie er ist, sollte Pnin der Schutzpatron der Übersetzungen sein.
    Denn sogar heute, in der Ära der örtlichen Verschiebungen, gehen wir nicht präzise genug mit Übersetzungen um, damit, was es bedeutet, etwas wörtlich zu übersetzen: wortgetreu zu sein. Und ein Ansatzpunkt könnte das weit verbreitete Problem der Aussprache sein. »›Gaw-gol,‹ nicht ›Go-gall‹«, insistierte Nabokov. »Das ›l‹ am Ende ist ein weiches ›l‹, das sich auflöst und im Englischen so nicht existiert. Man sollte nicht hoffen, einen Schriftsteller zu verstehen, wenn man nicht einmal dessen Namen aussprechen kann.« Und Nabokov? »Na-
bo
-kov. Ein wuchtiges offenes ›o‹ wie in dem amerikanischen ›Knickerbocker‹. Mein Neuengland-Ohr stößt sich nicht an dem gedehnten vornehmen ›o‹, mit dem die Mittelsilbe von Nabokov an amerikanischen höheren Bildungsanstalten ausstaffiert wird. Das scheußliche ›Nä-bah-kaw‹ ist widerwärtiger Gossendialekt. So, jetzt haben Sie die Wahl.« [739]
    Aber die einzige moralische Entscheidung ist die zur Treue:
Vladímir Nabókov
.

8 Hommage an Vladimir Nabokov in Drei Sprachen
    1
    Im Frühjahr 1937 , noch lange bevor er daran dachte,
Eugen Onegin
zu übersetzen, hielt Vladimir Nabokov in Paris eine Vorlesung über den von ihm sehr verehrten Schriftsteller Alexander Puschkin: »Puschkin oder das Wirkliche und das Glaubhafte«. Seine Vorlesung hatte zwei Hauptthemen: die Unmöglichkeit, sich vorzustellen, was an Puschkins Vergangenheit wirklich war; und die Unmöglichkeit einer wirklichen Übersetzung von Puschkins Werk. Nur eine glaubhafte Fassung sei möglich, aber keine wirkliche – dies war ein Punkt, den Nabokov dann mit drei virtuosen, aber möglicherweise unzulänglichen Übersetzungen von Puschkins Gedichten veranschaulichte. »Ich habe keine Illusionen, was die Qualität dieser Übersetzungen betrifft«, sagte Nabokov. »Es ist ein einigermaßen glaubhafter Puschkin, nichts weiter: Der wahre Puschkin liegt anderswo. Trotzdem«, fuhr er fort und widersprach sich sofort mit einem Ausspruch, den ich sehr bewegend finde, weil er nicht wirklich rational ist, aber dennoch sehr wahr zu sein scheint, »wenn wir dem sich entfaltenden Flussbett dieses Gedichts folgen, bemerken wir in jenen Biegungen, nach denen mich zu richten es mir hier und da möglich war, wie etwas Wahres wohlklingend vorbeischwimmt, und dabei handelt es sich um das einzige Wahre, was ich dort unten finden konnte – das Wesen der Kunst.« [740]
    Irgendwie, obwohl Übersetzungen zwangläufig unvollkommen sind, überlebt die Kunst den Übersetzungsvorgang trotzdem: das war die These, die Nabokov 1937 in Paris vertrat.
    Als Coda schloss Nabokov die Vorlesung mit

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