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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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frei gehen und verbürge die Zahlung.« [128]
    Viele Kapitel später wandert Don Quijote mit seinem Gefährten Sancho Pansa die Straße entlang und trifft den Jungen wieder. Don Quijote erklärt, vielleicht ein wenig selbstgefällig, dieser Junge sei ein Beispiel, »auf dass die Herrschaften sehen, wie wichtig es ist, dass es fahrende Ritter auf Erden gebe, welche den Ungebührlichkeiten und Unbilden steuern, die verübt werden von den frechen und schlechten Menschen, so auf selbiger leben«. [129] Aber der Junge ist vom Konzept des fahrenden Rittertums nicht ganz so überzeugt und erklärt: »Sobald Euer Gnaden aus dem Busch hinaus und wir zwei allein waren, band er mich wieder an denselben Eichbaum und versetzte mir aufs neue so viele Hiebe, dass ich geschunden war wie ein heiliger Bartholomäus; und bei jedem Hieb, den er mir aufmaß, gab er einen Witz und Spott zum besten, um sich über Euer Gnaden lustig zu machen, und hätte ich nicht so arge Schmerzen gelitten, so hätte ich über seine Späße lachen müssen.» [130] Und, schließt der Junge, all dies sei nur Don Quijotes Schuld: »Denn wäret Ihr eures Weges fürbaß gezogen und wäret nicht hingekommen, wohin Euch niemand gerufen, und hättet Ihr Euch nicht in fremde Händel gemischt, so hätte sich mein Herr damit begnügt, mir ein, zwei Dutzend Hiebe aufzuzählen, und dann hätte er mich alsbald losgebunden und mir bezahlt, was er mir schuldig war.« [131]
    Und so endet dieser kleine Handlungstrang von Don Quijote und dem Jungen: sein Netzwerk von Zickzacklinien, sein Bedeutungsorigami. Denn das ist es, was das Netzwerk eines Romans ausmacht, eine Abfolge von multiplen Faltungen.
    Die erste Faltung ist der Augenblick, in dem der Leser merkt, dass Don Quijotes fahrendes Rittertum ein Schuss in den Ofen war. Die gute Tat hat sich nicht nur als nicht gut erwiesen, sondern sogar noch zusätzlichen Schaden angerichtet. Die zweite Faltung ist jedoch die Gegenerkenntnis, dass dieser Junge ziemlich undankbar ist: Er ist erfüllt von der ungerechtfertigten Selbstgerechtigkeit jener Personen, die im Nachhinein urteilen. Es gibt keinen Grund, ihm zu glauben, wenn er sagt, die Situation sei schlimmer geworden, denn er konnte nicht klar vorhersehen, wie sich die Situation entwickeln würde. Und die letzte Faltung ist dann die Tatsache, dass, unabhängig davon, ob die Konsequenzen von Don Quijotes Taten schlecht waren oder nicht, es eine Grundlage unserer Moralität ist, dass eine Handlung nicht auf der Basis ihres Ausgangs beurteilt werden sollte: Wir beurteilen eine Handlung auf der Basis ihres intrinsischen Wertes. In diesem moralischen Universum, unter diesem Himmel, wird es immer richtig sein, einen Jungen zu retten, der brutal verprügelt wird. Genauso wie es immer falsch sein wird, der eigenen Eitelkeit zu folgen: dem Mythos der Hochachtung vor sich selbst. Deswegen ist Don Quijote, der die Züge eines Heiligen trägt, so unfreiwillig komisch.
    Bei allen diesen Komplikationen handelt es sich um Nebeneffekte von Cervantes’ feingestricktem Netzwerk. (Ein Netzwerk, wie Nabokov feststellte, das wie eine Krawatte angeordnet ist. [21] ) Weshalb ich denke, dass es, philosophisch gesehen, unmöglich ist, anständig aus einem Roman zu zitieren. Zitate wollen letztendlich immer wieder zum ganzen Buch werden. Ein Roman existiert nur wirklich als eine unaufteilbare Komposition.
    3
    Es ist wirklich sehr schwierig, Romane abstrakt zu beschreiben – die ausschwärmende Technik, die sie international macht …
    1937 schrieb Raymond Queneau einen kurzen Aufsatz mit dem Titel »Technique du roman« (»Technik des Romans«), in dem er sich auch darüber Gedanken machte, dass zwar mit einer gewissen Rigorosität über Lyrik diskutiert wurde, aber eine ähnliche Genauigkeit in »der Ausübung der Prosa« zu vermissen war: Und so versuchte er, seine eigene »bewußte Technik des Romans« zu umreißen, die auf der Komposition seiner eigenen Romane beruhte – eine Technik, fügte er hinzu, deren Held James Joyce war. Wie sich herausstellte, waren Queneaus Techniken an die Mathematik angelehnt: Anhand numerischer Systeme teilte er seine Figuren auf oder die Anzahl seiner Kapitel ein. Seine Technik war eine bewusste und willkürlich angewandte formale Logik. Das ist natürlich interessant, weil es bei weitem keine wirklich brauchbare Romantechnik ist. Schließlich beendet Queneau seinen kurzen Aufsatz mit einer generellen Äußerung: dass Form ewig existiere. Struktur sei

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