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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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alles.
    Es gibt keine Regeln mehr, seitdem sie den Wert überdauert haben. Die Formen jedoch haben ewigen Bestand. Es gibt Formen des Romans, die dem vorgegebenen Thema alle Eigenschaften der
Zahl
aufzwingen, und so entwickelt sich, aus dem Ausdruck selbst und aus den verschiedensten Aspekten der Erzählung entstehend, der Leitidee gleichgesetzt, Mutter und Tochter aller Elemente, die sie polarisiert, eine Struktur, die auf die Werke den letzten Widerschein des
Urlichts
und die letzten Echos von der Harmonie der Welten überträgt. [132]
    Sie ist grandios, und Queneau ist wunderbar – aber diese Theorie gehört ihm ganz allein. Es ist letztendlich keine brauchbare Theorie für mein internationales Projekt.
    4
    Der Roman ist eine Maschine, deren Essenz eine Abfolge von Elementen ist, die einen Zustand der Regungslosigkeit annehmen. Oder, mit anderen Worten, die Struktur eines Romans setzt das Konzept des Themas voraus – und jedes Thema bewegt sich Schritt für Schritt voran, wie eine Gleichung in der Mathematik. Dies ist ein Grund, warum Flaubert am 12 . Juni 1867 an George Sand schrieb, um sich darüber zu beklagen, wie schwierig es ist, einen Roman zu schreiben: »Mein Roman geht piano. Je weiter ich vorwärtskomme, desto mehr Schwierigkeiten tauchen auf. Was für ein schwerbeladener Karren mit Steinen. Und Sie klagen über eine Arbeit, die sechs Monate dauert! Ich habe noch mindestens für zwei Jahre zu tun. Wie zum Teufel machen Sie es, dass Ihnen die Verknüpfungen Ihrer Ideen gelingen? Das hält mich auf.« [133] Eine Geschichte so zu schreiben, dass sie der dargestellten Wahrheit treu bleibt, ist ein langsamer, gedämpfter Prozess. Und es war diese Art des Arbeitens, die Flaubert allen anderen gegenüber so ungeduldig sein ließ. Es machte ihn, das muss ich ehrlich sagen, den englischen Schriftstellern gegenüber ungeduldig. Und so schrieb er am 12 . Juli 1872 an George Sand:
    Ich habe die
Pickwickier
von Dickens gelesen. Kennen Sie das? Es gibt großartige Partien darin, aber was für eine mangelhafte Komposition! Bei allen englischen Schriftstellern ist es so, außer bei Walter Scott. Es fehlt ihnen an Gliederung! für uns Franzosen ist das unerträglich! [134]
    Trotzdem wird das tiefere Problem der Gestaltung auch hier nicht gelöst. Aber vielleicht kann es gar nicht abstrakt gelöst werden.
    In »Die abergläubische Ethik des Lesers« hatte Borges argumentiert, es sei »sträflich, auch nur eine der von Góngora fabrizierten Zeilen abzuändern (versichern die Herausgeber, die den Originaltext wiederherstellen); dagegen gewinnt der
Don Quijote
im Kampf mit seinen Übersetzern posthume Schlachten und überlebt jede verwahrloste Textausgabe«. [135] Aber bei Góngoras Lyrik und Cervantes’ Roman handelt es sich um völlig unterschiedliche literarische Formen. Die Vorstellungen davon, was Stil ausmacht, ist jeweils eine völlig andere. Bei der Komposition eines Romans wird der Krempel, aus dem der Inhalt entstehen soll, untersucht und geordnet. Das eine ist nicht ohne das andere möglich. Deshalb beginne ich zu denken, dass, weil die in einem Roman angewandten Techniken nicht von dessen Gestaltung zu trennen sind, die wiederum nicht von der Handlung zu trennen sind, für die Romanform ein anderer kritischer Ansatz entwickelt werden muss. Und ich denke, dieser muss die Form redseliger Umschreibungen annehmen. Denn die ganz reinen Produkte der Literaturtheorie fuktionieren nicht immer, wenn sie auf Romane angewendet werden. Und da erinnere ich mich an eine wunderbare Aussage von Henry James:
    Ich kann mir keine in einer Serie von Blöcken existierende Komposition vorstellen oder in einem Roman, der es wert ist, überhaupt diskutiert zu werden, eine Passage der Beschreibung, die in ihrer Intention nicht erzählend, eine Passage des Dialogs, die in ihrer Intention nicht beschreibend ist, einen Hauch von Wahrheit, gleich welcher Art, der nicht am Wesen der Ereignisse teilhat, oder ein Ereignis, das sein Interesse von irgendeiner anderen Quelle herleitet als von der allgemeinen und einzigen Quelle für das Gelingen eines Kunstwerkes – von der, erhellend zu sein. [136]
    Jeder Roman ist ein Netzwerk. Auf der einfachsten Ebene funktionieren alle Romane auf die gleiche Weise. Aber wirklich interessant sind vor allem die winzigen Details der Vorgänge, die sich in ihnen abspielen. So ist die Geschichte der Romanform letztendlich eine Geschichte der Kuriositäten. [22]
    5
    1887 lebte ein unbedeutender

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