Der multiple Roman (German Edition)
Schriftsteller namens Édouard Dujardin in Paris: Er war ein Liebhaber der schönen Dinge, der Kostbarkeiten: ein Symbolist. Und 1887 wollte er zu dem weltweiten Vorrat an seltenen und schönen Dingen etwas beitragen, indem er einen Roman schrieb mit dem Titel
Les Lauriers sont coupés (Geschnittener Lorbeer)
– dabei handelt es sich um ein Zitat aus einem elegischen Gedicht des romantischen Dichters Théodore de Banville: »Nous n’irons plus au bois, les lauriers sont coupés.« Dujardins Roman sollte nicht seines Inhalts wegen selten und schön sein, sondern wegen seines Stils. Der Inhalt ist schlichtweg banal und minimal: Er besteht in der Beschreibung eines Tages und einer Nacht im Leben eines Mannes namens Daniel Prince, der versucht, endlich die Frau rumzukriegen, die er schon seit Monaten zu verführen versucht – eine Schauspielerin namens Leah D’Arsay. Die Handlung dieses Romans mag zwar unoriginell sein, aber sein Stil ist es nicht. Sein Stil gleicht dem wilden Spiel eines Kindes mit einem Haufen Abfall.
Dujardins Roman wurde in Fortsetzungen in der eleganten kleinen Zeitschrift
La Revue Indépendante
veröffentlicht. Der Stil, den er wählte und der diesem Buch seine Schönheit verleihen sollte, trotz seines krempeligen Inhalts, es war ein Stil, der noch nie zuvor in einem Buch verwendet worden war. Bisher hatte es nur zwei gängige Ansätze gegeben. Beim ersten, dem konventionelleren, wurde die Handlung einer Geschichte von einem Punkt außerhalb der Geschichte gelenkt. Was natürlich nicht hieß, dass es nicht auch kleine Einbrüche in und Überfälle auf die Gedankenwelt und Psychologie der Figuren geben konnte, und Streifzüge in ihr. Alternativ konnte eine Figur, die selbst in der Geschichte vorkam, über die Geschehnisse berichten: Entweder, weil es sich um ihre eigene Geschichte handelte, oder weil es eine Geschichte war, von der sie irgendwie anderweitig erfahren hatte. Dagegen dachte sich Dujardin eine neue Methode aus. Seine Geschichte sollte weder von außerhalb der Geschichte erzählt werden noch von einer der Figuren. Sie sollte ausschließlich aus den dargestellten Gedanken und Wahrnehmungen einer Figur herleitbar sein: Somit wäre sie eine Übung der absoluten Subjektivität. Seine Geschichte sollte von jemandem erzählt werden, der sich nicht dessen bewusst ist, dass er überhaupt eine Geschichte erzählt. Und das klang folgendermaßen:
Daniel Prince denkt, während er in einem Restaurant Seezunge isst
Der Kellner, was macht er? Er kommt; bringt die Seezunge. Ein seltsamer Fisch! Diese Seezunge ist nur vier Bissen groß; gibt doch auch andere, die für zehn Personen ausreichen; die Soße ist ausgezeichnet; ja. Mit ihr anfangen … [137]
In seinem Essay von 1931 , »Le monologue intérieur« (»Der innere Monolog«), erinnert sich Dujardin wehmütig daran, wie sein Freund, der Dichter Stéphane Mallarmé, seinen Roman gelobt hatte. »Ich werde immer bedauern, dass Mallarmé zu mir
sagte
, mir aber nie
schrieb
, was er über das Buch nach dessen Erscheinung dachte.« Dujardin zufolge war Mallarmé die einzige Person, die damals schon sah, was Joyce später entdecken sollte: die enormen Möglichkeiten des inneren Monologs. Ich erinnere mich an seine Worte: »der Moment, am Schlafittchen gepackt …« [138] Denn schließlich liebte Mallarmé das Alltägliche. Als der (anonyme) Herausgeber von
La Dernière Mode
, einem Modemagazin, dessen Inhalt fast ausschließlich von ihm verfasst wurde, beschrieb Mallarmé seinen Wunsch, das »Leben, unmittelbar, geliebt und vielfältig, unser eigenes Leben mit seinen ernsten Nichtigkeiten« zu erfassen. [139] Und ich mag den Ausdruck »ernste Nichtigkeiten«, ich mag seine Bekenntnis zum Alltäglichen. Aber ich frage mich, ob vielleicht sogar Mallarmé die Verrücktheiten von Dujardin nicht völlig durchblickte. Denn Dujardin zitiert auch einen Brief von Mallarmé – geschrieben am 8 . April 1888 –, in dem Mallarmé betont, dass für ihn das Vergnügen an Dujardins Erfindung nicht ästhetischer, sondern journalistischer Natur sei:
Ich erkenne, dass Sie von einer oberflächlichen, sich selbst genügenden Notationsweise Gebrauch gemacht haben, deren einziges Ziel es ist, ganz unabhängig von großrahmigen literarischen Strukturen, Lyrik oder auf ansehnliche Weise verschaltete Phraseologie, ohne den Missbrauch der erhabenen zur Verfügung stehenden Mittel, die so schwer festzuhaltenden Erfahrungen des Alltags auszudrücken. [140]
Das
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