Der multiple Roman (German Edition)
Büchern vollgestelltes Regal
2
Wanduhren
5
Kommoden
2
Tische
1
Schreibtisch mit Schubladen, einer Löschblattschreibunterlage und einem Tintenfass
2
Paar Schuhe
1
Badezimmerschemel
11
Stühle
2
Sessel
1
Aktentasche aus Leder
1
Bademantel
1
Kleiderablage
1
Wecker
1
Personenwaage
1
Abfalleimer mit Fußhebel
1
Hut, der an einem Kleiderhaken hängt
1
Anzug, der auf einem Kleiderbügel hängt
1
über eine Stuhllehne gehängtes Sakko
Wäsche, die trocknet
3
kleine Badezimmerschränke
mehrere Flaschen und Fläschchen
zahlreiche schwer identifizierbare Gegenstände (Pendeluhren, Aschenbecher, Brillen, Gläser, Untertassen voller Erdnüsse, zum Beispiel) [148]
Und so weiter …
In dieser Zeichnung verstecken sich unzählige Geschichten. »Bei einer etwas aufmerksameren Betrachtung der Zeichnung«, schreibt Perec, »könnte man ihr mühelos die Einzelheiten eines umfangreichen Romans entnehmen.« [149] Jedes Detail ist Perecs überschwänglicher Theorie zufolge bereits eine Miniatur-Erzählung: »Die Dame, die ihren Geschäften nachgeht, ist die Mutter des jungen Mädchens, das sitzt, und es ist sehr wahrscheinlich, dass der Herr, der am Kamin lehnt, ein Glas in der Hand, und mit eher ratlosen Blicken das Mobile in der Art Calders betrachtet, ihr zukünftiger Schwiegersohn ist.« [150]
Auf diese Weise arbeitete Perec am Entwurf für seinen letzten und besten Roman
La vie mode d’emploi
, (
Das Leben Gebrauchsanweisung
): Ein Titel, in dessen ausdruckslosem Pragmatismus sich seine Ablehnung der Ansicht widerspiegelt, Literatur solle didaktisch und somit ein moralischer oder alltäglich anwendbarer Ratgeber sein. Seiner Meinung nach war die Literatur stattdessen eine Bejahung des wirklichen Lebens, eine Bejahung all jener unzähligen Romane, die in einem einzigen Wohnblock steckten – und die sich ganz von selbst in der fortlaufenden Abfolge einer Inventarliste abzeichneten.
Diese Zeichnung, lieber Leser, ist eine Allegorie dafür, dass jeder Roman, in gewisser Weise, unbegrenzt ist.
2
Bevor er nach Paris kam, um
Ulysses
zu beenden, hatte James Joyces Arbeitsmethode darin bestanden, für jede Episode seines Romans einen ersten Entwurf zu verfassen; diese stockte er dann auf, mit Notizen, die er auf Blöcken gesammelt hatte –, wobei er eine Notiz jeweils mit Farbstiften durchstrich, wenn er sie benutzt hatte. »Joyce benutzte kleine Schreibblöcke, die gerade in einer Westentasche Platz fanden« [151] , schrieb Joyces Freund Frank Budgen: »Ich habe gesehen, wie er binnen weniger Stunden die wunderlichsten Materialien zusammentrug: eine Parodie auf das Lied:
The House that Jack Built
, Namen und Wirkungen eines Giftes, Praktiken der Prügelstrafe auf Ausbildungsschiffen, das zögernde Auslaufen eines müde abgebrochenen Satzes, die Nervosität eines Gastes, der sein Glas einwärts kreisen lässt, den Witz eines Schweizer Kabaretts, dessen Pointe ein Wortspiel in Schweizer Mundart war.« [152] Wenn er damit fertig war, die Notizen in seinen ersten Entwurf zu übertragen, machte er eine Reinschrift, von Hand, ausgeschrieben in Langschrift. Dieser Entwurf wurde an eine Typistin gegeben, die drei Exemplare anfertigte, ein Original und zwei Durchschläge. Joyce fügte dann noch Passagen ein und machte Korrekturen an ein oder zwei Exemplaren und schickte zwei der drei an den Dichter und Verleger Ezra Pound – damit dieser sie an die
Little Review
und den
Egoist
weiterleitete, jene Zeitschriften, in denen der Roman serienmäßig in den USA und in Großbritannien veröffentlicht wurde.
Nachdem er in Paris angekommen war und einen Verleger für das komplette Buch gefunden hatte, begann Joyce, sich einen neuen Arbeitsprozess anzueignen. Ehe er das Manuskript des fertigen Buches verschickte, das in Druck gehen sollte, suchte er erst noch alle Drucksätze der schon als Fortsetzungsroman erschienenen Teile zusammen, um noch weitere Änderungen vorzunehmen.
Aber es kam noch schlimmer.
Danach erhielt Joyce vom Drucker sogenannte
placards
– sehr große Blätter, auf denen acht Seiten auf einmal gedruckt waren, vier auf jeder Seite, in absteigender Reihenfolge. Joyce erhielt drei Exemplare von jedem dieser Bögen, nahm aber nur an einem Exemplar Veränderungen vor. Dieses Exemplar schickte er zurück, wenn er mit seinen Korrekturen fertig war. Dann bekam er die Druckfahnen zurück, die er noch weiter überarbeitete. Dieser Korrekturvorgang wurde in manchen Fällen acht-
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