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Der multiple Roman (German Edition)

Der multiple Roman (German Edition)

Titel: Der multiple Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Thirlwell
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Roman,
Ferdydurke
, veröffentlicht, die ihn berühmt gemacht hatten. Zumindest in Polen. Er war ein
enfant terrible
. Aus diesem Grund beschloss er, über einen weiteren Schriftsteller zu schreiben, der mit der Form experimentierte: James Joyce.
Ulysses
war acht Jahre zuvor, 1929 , auf Französisch erschienen, aber Gombrowicz hatte diese Übersetzung gerade erst gelesen. Denn genauso, wie es Machado de Assis nicht möglich war, Sterne auf Portugiesisch zu lesen, konnte Gombrowicz Joyce nicht auf Polnisch lesen. Beide mussten sich also mit dem Kompromiss einer französischen Übersetzung zufriedengeben. Und so schrieb Gombrowicz einen Text über die französische Übersetzung von
Ulysses
für eine Warschauer Zeitschrift, den
Kurier Poranny
. Mit Bedauern musste er aber zugeben, dass er
Ulysses
nicht wirklich für übersetzbar hielt. Wehmütig beneidete er das Glück der englischsprachigen Leser und teilte seine eigene paradoxe und in sich widersprüchliche Überzeugung mit, dass die »Perfektion und Kraft dieses komplexen Stils« zwar selbst in der Übersetzung eindeutig zeige, wie gut
Ulysses
sei, die zweifache Sprachbarriere aber trotzdem »einen intimeren Umgang« verbaue. Gombrowicz beendete seinen Artikel mit einem gereizten Seitenhieb:
    Es ist unangenehm, daß irgendwo im Ausland eine Methode des Fühlens, Denkens und Schreibens entstanden ist, die unsere Methoden des Anachronismus bezichtigt und rein technische Schwierigkeiten dem Einblick in jene Entdeckungen im Wege steht. [300]
    Durch
Ulysses
waren die polnischen Romanciers mit einem Schlag überholt worden, das entging Gombrowicz nicht: Aber im Französischen, seiner Zweitsprache, konnte er nicht genau fassen, von welchen Mechanismen dies bedingt wurde. Die technischen Details, das gab er zu, gingen an ihm vorbei. Sein Französisch sei zwar gut genug, um eine Unterhaltung zu führen, aber diese von einem Expertenkomitee hergestellte Übersetzung gab ihm das Gefühl, ausgeschlossen und marginalisiert zu sein. Denn wie alle guten Romane wurde
Ulysses
ganz von seiner Sprache getragen, war »organisch mit ihr verbunden, in seine Sprache hineinkomponiert und von ihr geschaffen«. [301]
    Aber ich bin mir nicht so sicher, ob dies wirklich so stimmt. Wenn Stil nur auf der Ebene der Sätze angesiedelt wäre, dann hätte Gombrowicz vielleicht recht. Stil ist nicht nur eine Frage der Sätze, und genau aus diesem Grund ist es trotzdem möglich, Texte zu übersetzen. So etwas wie Unübersetzbarkeit gibt es gar nicht. Und so frage ich mich manchmal, ob hinter dem Konzept der Unübersetzbarkeit nicht immer der heimliche Wunsch nach der perfekt passenden Übersetzung steckt, und hinter diesem Wunsch wiederum die entsprechende Sehnsucht nach dem absoluten Stil. Aber es gibt keine perfekten Übersetzungen, und alle Stile sind zerklüftet. Und somit ist immer etwas übertragbar, auch wenn die resultierende Übersetzung nie perfekt sein kann.
    Denn Gombrowicz konnte trotz allem erkennen, was an
Ulysses
so gut war! Auf Französisch hatte er verstanden, worin Joyces Erneuerungung bestanden, die Effekte seiner Kunst. Aus diesem Grund wollte er eine polnische Übersetzung – diese, so sein Argument, wäre für die polnische Literatur um einiges wertvoller als ein weiterer mittelmäßiger polnischer Roman. Denn in diesen mittelmäßigen Romanen mochte sich zwar »ab und zu etwas ändern – in der Art der Erfassung ändert sich so gut wie nichts«. Joyce dagegen »würde uns einen Schuß Elastizität geben, die laschen Organismen lehren, sich anzupassen, zu verändern, er würde ihnen nicht so sehr Inspiration, als vielmehr gewöhnliche Vitalität einhauchen«. [302] Ja, sogar in ihrer französischen Form waren Joyces Neuerungen für diesen polnischen Schriftsteller erkennbar. Und trotzdem hatte Gombrowicz’ Schluss etwas Niedergeschlagenes. Die dem englischsprachigen Leser angeborenen Vorteile bedrückten ihn. Diese Reaktion ist genauso verständlich wie grundlos.
    Denn Stil ist etwas Internationales. Stil überlebt Migrationen, nicht nur in eine zweite Sprache, sondern auch in eine beliebige dritte Sprache. Sternes Nachkömmlinge in der Geschichte des europäischen Romans konnten sein Werk nicht immer im Original lesen. Diderot las ihn auf Englisch, das ist richtig. Aber Machado de Assis las ihn auf Französisch, und genauso der russische Dichter und Schriftsteller Alexander Puschkin. Und in Puschkins Fall weiß der internationale Leser sogar mit Sicherheit, welche

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