Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
Vom Netzwerk:
Alexandria. Ich erkundigte mich an einem der offenen Stände und erfuhr, daß es ein jüdischer Feiertag war, der nicht im Tempel, sondern daheim verbracht wurde. Diese Frömmigkeit war zwar löblich, für den außenstehenden Beobachter aber auch recht langweilig.
    »Es gibt lebhaftere Plätze in dieser Stadt«, bemerkte Hermes.
    »Ohne Frage«, erwiderte ich. »Laß uns nach Rhakotis gehen.«
    Rhakotis war das ägyptische Viertel und zugleich das größte in dieser kosmopolitischsten aller Städte; genauso groß wie das griechische, das makedonische und das jüdische Viertel zusammen. Auf eine ganz eigene Art war es für römische Augen auch das seltsamste.
    Die Ägypter sind das älteste aller Völker und so abgrundtief konservativ, daß sie selbst die reaktionärsten Römer flexibel erscheinen lassen. Die gemeinen Untertanen der Ptolemäer waren identisch mit den Menschen, die man in den Tempeln der ältesten Pharaonen dargestellt sieht. Sie sind ein kurzer, stämmiger Menschenschlag mit dunkler Haut, wenn gleich nicht so dunkel wie die Nubier. Das übliche Kleidungsstück der Männer war eine Art Lendenschurz aus weißem Leinen, dazu trugen sie kurze, rechteckig geschnittene, schwarze Perücken.
    Sie umrandeten ihre Augen mit Antimonium, weil sie an seine wohltuende Wirkung für die Augen glaubten. Der alte ägyptische Adel, von dem es hie und da noch ein paar Exemplare gab, war von einer anderen Rasse, größer und heller, obschon immer noch dunkler als Griechen oder Italiker. Ihre Sprache war außerhalb Ägyptens völlig unbekannt.
    Wenn man sie heute sieht, fällt es schwer zu glauben, daß dies das Volk war, das die atemberaubenden Pyramiden gebaut hatte, aber die heutigen Griechen haben ja auch nicht mehr viel gemein mit den Helden Homers oder selbst ihren jüngeren Vorfahren aus den persischen Kriegen. Die Ägypter nehmen ihre Religion sehr ernst, obwohl sie die mit Abstand skurrilsten Götter der Welt haben. Jeder hält die tierköpfigen Gottheiten für besonders komisch, aber mein persönlicher Favorit ist ein Gott, der bis auf das Gesicht eingewickelt ist wie eine Mumie, gleichzeitig jedoch aufrecht steht mit einem erigierten Penis, der aus seiner Verpackung herausragt.
    In Rhakotis herrschte das übliche tumultartige Straßenleben: Straßenhändler priesen ihre Ware an, Tiere wurden zum Markt geführt, und wir sahen auch die endlosen religiösen Prozessionen, die ein unvermeidbarer Bestandteil des ägyptischen Lebens zu sein schienen. Mein Bummel durch dieses Viertel war keineswegs rein touristischer Natur, ich hatte vielmehr ein bestimmtes Ziel im Auge, wollte jedoch nicht den Eindruck erwecken, als ob ich in diesem Viertel ermittelte.
    Unsere erste Station war das Große Serapeion, ein weiteres Beispiel jener zyklopischen Architektur, an der die Diadochen solche Freude hatten. Fast so groß wie der Diana-Tempel in Ephesos, war das Serapeion dem Gott Serapis gewidmet, einer alexandrinischen Erfindung. Die Diadochen glaubten, sie könnten alles besser als alle anderen, einschließlich der Erschaffung der Götter. Alexandria war eine völlig neue Art von Stadt, und man wünschte sich einen Gott, der ägyptische und griechische Religionspraktiken mit einander verschmolz. Also bastelten sie sich einen Gott von der majestätischen und erhabenen Erscheinung Plutos und kreuzten ihn mit den ägyptischen Göttern Osiris und Apis, daher auch der Name Serapis. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund erwies sich diese zusammengezimmerte Gottheit als überaus populär und wird heute fast überall auf der Welt verehrt.
    Das Serapeion bildete wie der Palast eine richtige Stadt in der Stadt mit Gattern für lebende Opfertiere, etlichen Kohorten von Priestern und Dienern, Räumen voller Brimborium und Schätzen, fantastischen Kunstgegenständen und sogar einem Waffenlager und einer Privatarmee, um das Ganze zu bewachen.
    Der Tempel selbst war ein typisches Beispiel seiner Art, das heißt ein üblicher griechischer Tempel, nur größer. Er stand auf einem künstlich errichteten Steinhügel, und sein oberirdischer, weithin sichtbarer Teil war der Öffentlichkeit jederzeit zugänglich. Er beherbergte ein Standbild des Gottes, das von staunenswert bescheidenen Ausmaßen war. Doch das war nur Schau. Da Serapis ein Konglomerat diverser chthonischer Gottheiten war, fanden die eigentlichen Rituale in einer Reihe von unterirdischen Krypten statt.
    Ich schlenderte inmitten all dieser Prächtigkeiten umher und glotzte wie jeder

Weitere Kostenlose Bücher