Der Musentempel
alles Land in Ägypten seiner Majestät König Ptolemaios, aber nach alter Sitte gewährt der König seinen loyalen Adeligen die Herrschaft über große Ländereien.« Genau das wollte ich hören.
Er trug die Karte zu einem langen Tisch und zog sie aus ihrer Lederhülle. Um Platz zu schaffen, nahm er einige Papyrusfetzen, warf einen kurzen Blick darauf und warf sie dann in eine große Kiste am Ende des Tisches. Die Kiste war halbvoll. Die ägyptische Bürokratie produzierte zehn Mal so viel Papyrusmüll wie ihr römisches Äquivalent. In Ägypten war das Zeug spottbillig, und man kam gar nicht auf die Idee, es mehrfach zu verwenden.
»Was passiert mit den ganzen Papyrusabfällen?« fragte ich, ohne mir etwas dabei zu denken.
»Einmal im Monat kommt der Sargmacher, um die Abfallbehälter zu entleeren«, erwiderte er.
»Sargmacher? Tatsächlich?« Eine weitere Merkwürdigkeit Ägyptens.
»Oh, ja. Holz ist sehr kostbar in Ägypten. Nur die Wohlhabenden können sich hölzerne Mumienschreine leisten.
Die Sargmacher mischen das Papyrus mit Leim und formen es zu Särgen für die ärmeren Leute. Solange die Grabkammer versiegelt bleibt, hält es genausogut wie Holz, behaupten sie jedenfalls. Ich persönlich vertraue lieber auf echtes Holz. Meine Grabkammer ist fast fertig, und ich habe für ich und meine Frau Särge aus feinstem libanesischen Zedernholz bauen lassen.«
Auch die Römer begeistern sich für Beerdigungen und ihre aufwendige Vorbereitung, aber bei den Ägyptern ist es eine regelrechte Manie, wahrscheinlich weil sie an ein angenehmes Leben nach dem Tode glauben. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit konnten sie stundenlang über das Thema plaudern.
»Das ist der See«, sagte er, nachdem die Karte ausgebreitet und an den Ecken mit Gewichten beschwert war. Der See hatte wie die meisten Seen unregelmäßige Konturen. In regelmäßigen Abständen markierten feine Linien die an sein Ufer grenzenden Anwesen, aber die Schriftzeichen waren demotisch, eine vereinfachte Form der Hieroglyphen, die wie das griechische oder lateinische Alphabet phonetische Klänge bezeichneten, jedoch nur zur Notation des Ägyptischen verwendet wurden. So hatten sich die Ägypter ihre Stellung im Dienst der Ptolemäer gesichert. Sie waren die einzigen, die die Karten und Angaben zur Landvermessung lesen konnten.
»Sind dies die Namen der Besitzer?« fragte ich ihn. »Ich werde eine Rundreise auf dem See machen und möchte einige von ihnen besuchen.«
»Also, laß mich schauen. Wenn man vom Kanal kommend in westlicher Richtung fährt...«
»Eigentlich hatte ich vor, mich zunächst in östlicher Richtung zu halten. Wer ist der Besitzer dieses Anwesens?« Ich zeigte mit dem Finger auf die Gegend, wo ich noch heute morgen gewesen war.
Sethotep studierte eine Weile die Inschrift. »Dieses Anwesen gehört dem Fürsten Kassandros. Es ist in direkter Erbfolge in der Hand der Familie seit den Zeiten eines Vorfahren, der ein Vertrauter von Ptolemaios Soter, dem Begründer des heutigen Königshauses, war.«
Das war eine bittere Enttäuschung. Ich hatte noch nie von dem Mann gehört.
»Dann muß ich mich also an Fürst Kassandros wenden, wenn ich das Anwesen besuchen will?«
»Fürst Kassandros lebt schon seit einigen Jahren im Ruhestand auf seinem Gut in Arsinoe, an der Küste des Fajum.«
»Dann hat er mehr als ein Anwesen?« fragte ich.
»Wie viele Könige haben auch die Ptolemäer sich an die Politik gehalten, den bedeutenderen Adeligen mehrere im ganzen Reich verstreute Güter als Lehen zu überlassen, anstatt ihnen ein großes Stück Land zu geben. Das verringert den Neid unter den großen Männern und sorgt dafür, daß jeder ein Stück des besten Landes bekommt, aber eben auch ein Stück mittelmäßigen und ein Stück kargen Landes.«
Es hielt sie auch mit Reisen von Anwesen zu Anwesen beschäftigt und hinderte sie daran, eine Machtbasis aufzubauen, dachte ich.
»Sehr klug. An wen soll ich mich dann wenden?«
Er rückte seine Perücke zurecht, die ein wenig in Schräglage geraten war. »Möglicherweise wird das Gut von einem Verwalter geleitet oder von einem von Fürst Kassandros' Söhnen. Fürst Philip ist der ältere von beiden, aber er ist Oberaufseher der königlichen Steinbrüche und hält sich die meiste Zeit des Jahres in der Nähe des ersten Kataraktes auf.
Den jüngeren, Fürst General Achillas, trifft man meistens hier in Alexandria an. Du kannst dich entweder bei der makedonischen Garnison oder bei seinem Stadthaus
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