Der Musentempel
gegen die Sonne gekauft. Ich besaß eine ausgezeichnete gestreifte Robe mit einer Kapuze, die meinen römischen Haarschnitt verbergen würde. Ich streifte meine römischen Sandalen ab und schlüpfte in ein paar leichte Schuhe aus Kamelleder, wie sie gerne von Karawanenführern getragen wurden.
»Hast du dein Testament gemacht?« fragte Hermes. »Das, in dem du mir im Falle deines Todes die Freiheit schenkst?«
»Wenn ich je ein derartiges Testament aufsetzen würde, müßte ich jeden weiteren Tag in Todesangst verbringen. Mach dir keine Sorgen, ich komme schon wieder zurück.« In Wirklichkeit hatte ich mein Testament längst gemacht und im Tempel der Vesta hinterlegt, inklusive der Freilassung und großzügigen Abfindung aller meiner Sklaven. Aber man darf nie zulassen, daß ein Sklave einen für weichherzig hält.
Nachdem ich meine Waffen am Körper verstaut hatte, warf ich das lange Wüstengewand über. Ich widerstand der Versuchung, mein Gesicht einzuschwärzen. Solche Listen sind selten überzeugend und würden meine Entdeckung nur wahrscheinlicher machen. Tatsache ist vielmehr, daß hellhäutige Menschen im Orient keineswegs selten sind, bei all den Söldnern, die als Aufpasser im weitgestreckten persischen Reich, in Alexanders wütenden Armeen und ihren ebenso polyglotten Nachfolgern unter den Diadochen gedient hatten, die seit mehr als zweihundert Jahren sogar Gallier aus Galizien in ihrem Dienst hatten. Meine typisch italischen Gesichtszüge würden problemlos durchgehen, solange ich meine Zunge im Zaum hielt. Im griechisch Radebrechen konnte ich es locker mit den Besten von ihnen aufnehmen. »Na dann, viel Glück«, sagte Hermes.
»Halt dich vom Wein fern«, riet ich ihm.
Auf der Straße bemühte ich mich angestrengt, nicht wie ein Römer zu gehen. Das war nicht allzu schwierig, weil die Männer aus der Wüste sich ebenfalls sehr aufrecht hielten, jedoch weit langsamer voranschritten. Wir sind an einen eiligen Legionärsschritt gewohnt, während ihre Gangart darauf bedacht ist, einen Hitzschlag zu vermeiden. Meine Hauptsorge war, echte Berber zu treffen, die sich mit mir unterhalten wollten, aber diese Gefahr war nicht allzu groß. In den trockenen Gebieten der Erde wurden zig verschiedene Sprachen gesprochen, und ich konnte stets so tun, als spräche ich eine der anderen. Außerdem waren Berber sehr hochmütig und geruhten nur selten, den Vertreter eines anderen Stammes zur Kenntnis zu nehmen.
Ich schlenderte gemächlich dahin, als hätte ich bereits alle meine Waren verkauft und sähe mir jetzt ein wenig die Stadt an, bevor ich wieder mein Kamel besteigen und mit einer Karawane gen Heimat ziehen würde. In einer Stadt wie Alexandria war ich damit praktisch unsichtbar, was mein größtes Bestreben war.
Die meisten Straßen, durch die ich ging, waren ruhig, auch wenn eine leicht beklommene Stimmung herrschte. Die wenigsten Menschen, die mir begegneten, waren Alexandriner, und sie sahen nicht aus wie vielversprechende Kandidaten für einen tobenden Mob.
In Rhakotis war das anders. Hier lag Spannung in der Luft.
Die Leute tuschelten mit einander, anstatt wie sonst fröhlich zu plappern. Sie zogen sich von den Ausländern zurück und legten das Verhalten von Menschen an den Tag, die auf der Schwelle zu pogromartigen Ausschreitungen standen. Ich hatte das gleiche auch schon anderswo beobachtet, etwa in Gallien, wo sich die Bevölkerung ganz ähnlich gebärdet hatte, obwohl es uns gelungen war, die Sache vorübergehend wieder zu beruhigen.
Doch ich wollte nicht nur die allgemeine Stimmung in der Stadt erkunden. Ich hatte ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen.
Meine Mission erforderte auch ein gewisses Maß an Tollkühnheit, was mir gefiel. Wenig später stand ich auf der Treppe zum Tempel des Baal-Ahriman.
Viele Leute lungerten in den Höfen herum, als warteten sie darauf, daß etwas passierte. Ich stieg unbemerkt die Stufen hinauf, nur ein weiterer Tourist. Dann stand ich auf der Plattform vor dem eigentlichen Heiligtum des Gottes. Ich trat ein.
Wie ich erwartet hatte, war das innere Heiligtum menschenleer. In Ägypten sind Tempel keine Versammlungsräume. Wenn es Riten zu zelebrieren gilt, betreten die Priester die Gotteshäuser und zelebrieren sie. Die übrige Zeit liegen die inneren Tempel verlassen da. Die Zusammenkunft anläßlich der Botschaft des Baal-Ahriman an seine Gläubigen war eine Ausnahme gewesen. Der Sonnenstrahl, der durch das Oberlicht fiel, erleuchtete noch immer eine kleine Fläche
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