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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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vor dem häßlichen Standbild. Ich machte vorsichtig einen Bogen um das Licht, bis das Standbild nur noch eine Armlänge entfernt war. Ich sah mich um, um sicherzugehen, daß ich unbeobachtet war; dann streckte ich meine Hand aus und faßte nach dem Kiefer der Statue. Er bewegte sich absolut nicht und war offenbar aus massivem Stein gehauen. Aber irgend etwas, das meine Hände ertasteten, kam mir seltsam vor, so daß ich mich vorbeugte, um zu sehen, was es war. Neben den angefault aussehenden Lippen des Ungetüms stieß ich auf eine parallel verlaufende Rippe aus Stein, die genau die Form der Lippen hatte, jedoch nicht ausgearbeitet war; als habe der Bildhauer zunächst damit begonnen, sich dann aber anders entschieden, ohne seinen ersten Versuch zu zerstören. Dann ließ ich meine Fingerspitzen über die Zähne des Löwen gleiten und fand auch hier zwei Reihen. Die auf den ersten Blick sichtbaren Zähne waren viel länger. Die Reihe der davorliegenden, kürzeren Zähne stand dicht gedrängt wie Legionäre in offener Schlachtordnung. Ich ertastete das Innere des Rachens. Die Zunge war eigenartig gekräuselt, und ich bemerkte, daß die obere Mundhöhle schwarz bemalt worden war. Warum schwarz? Um kein Licht zu reflektieren?
    Ich betrachtete den Lichtfleck, wo Ataxas, die Hände auf dem Bauch verschränkt, gekniet hatte. Und was hatte er getan? Er hatte eine silberne Schale gehalten. Eine silberne Schale ganz ähnlich denen, die ich in Iphikrates' Arbeitszimmer gesehen hatte.
    Ich sah mich in dem Heiligtum um, bis ich einen Tisch entdeckte, auf dem ein Kasten mit Weihrauch und eine Silberschale standen. Ich nahm die Schale und trat wieder ins Licht. Erneut vergewisserte ich mich, unbeobachtet zu sein, dann senkte ich die Schale, bis das widergespiegelte Licht das Gesicht Baal-Ahrimans erfaßt hatte. Ich bewegte sie vorsichtig hin und her, um den Strahl über Mund und Kiefer des Gottes wandern zu lassen. Die Rippen und falschen Lippen und eng stehenden Zähne waren so ausgezeichnet angeordnet, daß sie das Licht abwechselnd zurückwarfen, so daß jeweils nur ein Satz Zähne und Lippen zu erkennen war. Dies hatte den Effekt, daß der ganze Kiefer sich zu bewegen schien, wenn das Licht darüber spiegelte. Aber was war mit den Lichtblitzen, die scheinbar aus dem Mund gezuckt waren? Gerade als mir der Gedanke kam, trieb ein Weihrauchschwaden am Gesicht der Statue vorüber, und der weiße Rauch reflektierte das Licht überraschend hell. Die silberne Schale hatte Weihrauch enthalten, das Ataxas auf den Kohlenrost geschüttet hatte, bevor er auf die Knie gefallen war. Jeder Aspekt war sorgfältig geplant gewesen.
    »Was machst du da?«
    Ich ließ fast die Schale fallen, als ich herumfuhr. Es war Ataxas, flankiert von zwei muskulösen Ministranten. Es ist nie gut, sich zu sehr in seine Arbeit zu vertiefen, egal wie faszinierend sie sein mag.
    »Nun, ich habe nur dieses handwerkliche Meisterstück bewundert. Erstklassige Konstruktion, meinen Glückwunsch.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, aber du entweihst das Heiligste unserer Heiligtümer. Und, Römer, wie kommt es, daß du herumläufst wie ein Wüstennomade?« Mir kam es ein wenig so vor, als ob sein schwerer orientalischer Akzent ein bißchen nachließ.
    »Für Römer sind die Straßen dieser Tage nicht mehr sicher.«
    Ich sah mich nach Ausgängen für einen hastigen Rückzug um.
    »Muß irgend etwas mit den Weissagungen deines Gottes zu tun haben.«
    Er wölbte zum Ausdruck seiner Ahnungslosigkeit übertrieben die Brauen. »Aber mein Gott hat doch gar nichts über die Römer gesagt.«
    »Das war auch nicht notwendig. Deine Botschaft ist auch so angekommen.«
    »Du sprichst in Rätseln. Du bist hier unerwünscht, Römer.
    Geh, solange du noch kannst.«
    »Willst du mich bedrohen, du orientalischer Betrüger?« fragte ich.
    Er lächelte und legte seine gespreizten Fingerspitzen auf die Brust. »Wie könnte ein bescheidener Priester aus Asia Minor eine Bedrohung für einen Gesandten des mächtigen römischen Weltreichs darstellen?«
    »Du solltest den Sarkasmus denen überlassen, die ihn überzeugend vortragen können.«
    Er wandte sich seinen Begleitern zu. »Werft diesen Mann raus, meine Söhne.« Die beiden lösten ihre verschränkten Arme und kamen auf mich zu.
    Ich habe mich nie für einen besonders professionellen Schwertkämpfer gehalten, aber meine Fertigkeiten in einer einfachen Schlägerei haben mich stets mit einem gewissen Stolz erfüllt. Als der Rechte

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