Der Musikversteher
Magie!«
Aber es half nichts, der Alte kam aufs Altenteil und hatte an manch hartem Gnadenbrot zu kauen, das blieb ihm zuweilen quer im Maul stecken. Und als er dann flehte »Schneeweißchen und Rosenrot, schafft weicheres Gnadenbrot!«, da merkte er, dass er ins falsche Märchen hineingeraten war und schwieg voller Scham still.
Seine Verbündeten aber von der Musikermachofront, die ließen ihre Beziehungen spielen, und sie sorgten dafür, dass der Alte Sultan, der krumme Hund, wieder dirigieren durfte. Er wurde Altersteilzeit-Dispatcher bei einem der führenden Riesen der Unterhaltungs- und Versandbranche, und es störte ihn auch nicht, dass dieser Riese den Namen eines antiken Stamms von kriegerischen Weibern angenommen hatte.
Und so konnte er nach Herzenslust dispatchen, und er dirigierte die Warenströme, ob sie nun groß geraten waren oder winzig klein, an ihre Bestimmungsorte, so wie er es zuvor mit seinen Notenströmen auch schon getan hatte.
Bisweilen kam ihn die Versuchung an, seine musiktheoretischen Kenntnisse zu nutzen und das DisPatchen enharmonisch in ein Es-Pitchen zu verwandeln, doch dann schreckte er vor solchen antiautoritären Anwandlungen aus seinen frühesten Studententagen zurück.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann dispatcht er noch heute.
Richard Wagner WALKÜREN-RITT (1855/56)
– http://www.youtube.com/watch?v=23ns97Y3xBI
– http://www.youtube.com/watch?v=Gz3Cc7wlfkI (Filmmusik-Version)
»Nicht Kaiser und nicht König, aber so dastehn und dirigieren!« – so hatte Richard Wagner dirigentische Wunsch-Attitüden auf den Punkt gebracht, und so hatte es auch der Alte Sultan gefühlt. Als Dirigent von Opern und Musikdramen agiert man eher im Verborgenen, für das Publikum kaum sichtbar. Aber selbstverständlich gibt es dirigentische Bedürfnisse, gehört und gesehen zu werden. Um dem Rechnung zu tragen (und, ebenso selbstverständlich, um Geld zu verdienen), hatte Wagner zahlreiche Teile aus seinen musiktheatralischen Werken für den Konzertsaal bearbeitet – darunter auch den WALKÜREN-RITT der nordischen Walküren, die sich auf ihren Luftrössern durch die gewittrigen Sturmeslüfte schwingen. Über ihren Sätteln hängen – Mythos und Fantasy zugleich – erschlagene Krieger.
Wie so oft bei Werken aus dem klassisch-romantischen Repertoire ist der WALKÜREN-RITT zu Beginn des dritten Aufzugs von Richard Wagners DIE WALKÜRE (2. Teil aus der Vier-Abende-Tetralogie DER RING DES NIBELUNGEN) einem sehr breiten Publikum als Filmmusik bekannt geworden: in Apocalypse now von Francis Ford Coppola – dort den Helikopter-Luftrösser-Angriff auf ein Dorf im Vietnam-Krieg martialisch musikalisierend.
Wagners Musik ist einerseits durchaus illustrativ-beschreibend (»luftige« rasche Figurationen, wolkige, stürmisch dahinrasende Tonflächen, Aufspritzen, Vibrieren, In-sich-Drehen: ein »lebendes Bild«), andererseits ist sie aber symbolisch-bedeutungsvoll: Wir hören u. a. in den wandernden Dreiklangsbrechungen des leitmotivischen Themas den typischen »punk-tierten Rhythmus« eines galoppierenden Pferdes (3/8, erstes Achtel um ein Sechzehntel gedehnt, Sechzehntel, Achtel). Aber: Er ist, sehr stilisiert, eingebunden in einen »schweren« 9/8-Takt (= 3 x 3/8), der – in h-Moll, der »schwarzen Tonart«- auch die »Schwere« des Verstoßes der Walküre Brünnhilde gegen das Gebot Wotans symbolisiert. Das »Hojotoho« und »Heiha« des Walküren-Gesangs hat schon zu Wagners Lebzeiten den Spott der Parodisten herausgefordert, aber ihre charakteristischen»übermäßigen Dreiklänge« (große Terzen übereinander, z. B. g 1 – h 1 – dis 2 ) und der – gesangstechnisch »mörderische« – Oktavsprung aufwärts (auf ho-!) sind ebenso eindrucksvoll wie einprägsam. Durch raffinierte Instrumentation und kontrapunktische Verdichtungs- und Ausdünnungsprozesse wird eine plausible Klangdramaturgie erzielt. Harald Schmidt übrigens ergänzte zur Schar der acht Walküren um Rossweiße, Grimgerde, Waltraute und Schwertleite noch eine neunte: Leitplanke. Anregung fürs Regietheater?
7. Die It-Girls und die Ich-Frauen
Was geschieht, wenn Walküren des 19. Jahrhunderts auf It-Girls des 21. prallen? Das Regietheater sorgt auch hier für möglichen Kitt: warum nicht die mythologischen Helden-Sammlerinnen als germanische It-Girls der späten dreißiger Jahre inszenieren? Und umgekehrt: ein findiger Personnagen-Berater wird ganz sicher auch für It-Girls hochaktuelle Walküren-Inszenierungen
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