Der Musikversteher
Bestätigung der Hörerwartung und planvoller Durchbrechung resultiert Spannung, Spaß, Neugier. »Unser« 4/4-Takt aus der mitteleuropäischen Tradition seit etwa 1630 hat die intentionalen Akzente EINS zwei DREI vier , also die Rangfolge eins, drei, zwei, vier.
Die Takteinheiten werden allerdings nicht allein durch rhythmische Phänomene definiert, sondern auch durch den Wechsel der Harmonien. Die sogenannte »harmonische Geschwindigkeit« ist in der meisten Popmusik eintaktig, d. h. pro Takt wechselt die Harmonie. Weil es so häufig vorkommt, erscheint es»natürlich«. Das kann auch langsamer sein, z. B. alle zwei Takte, das kann rasend schnell sein wie im Bebop-Jazz, wo die Harmoniewechsel pro Viertel oder sogar pro Achtel sein können. Je schneller die Harmoniewechsel, desto nervöser oder hektischer wird in der Regel der Charakter der Musik.
Große Teile des deutschen Musikpublikums der Abteilung »volkstümlich« haben den unausrottbaren Drang, mitzuklatschen. Geklatscht wird (bei langsamem Tempo) gern der Puls, der Beat; häufiger aber ist das Klatschen auf EINS und DREI, also immer mit dem Akzentstufentakt, als dumpfe Bestätigung. Das praktizieren die aber nicht nur bei den volkstümlichen Musikanten, sondern auch bei Pop-, ja sogar bei Rockmusik, und sie zerklatschen die zartesten Lyrismen empfindsamster Liedermacher.
Was machen die Kenner, wenn sie überhaupt klatschen? Sie klatschen auf die unbetonten Zeiten, auf zwei plus vier. Zugegeben, das erfordert mehr Konzentration, aber was wird bewirkt? Das, was jeder Schlagzeuger macht, dass nämlich die Betonung der eigentlich unbetonten Zählzeiten einen Drive erzeugt, der vorwärts zieht. Das funktioniert aber nur auf dem Hintergrund der intentionalen Hörerwartung, und jeder Schlagzeuger spielt ja auch die Normalität des 4/4-Akzentstufentaktes, durchbricht sie aber gleichzeitig durch Akzent, Klangfarbe und Artikulation.
Sie kennen sicherlich auch die besondere Hervorhebung der Zählzeit drei; berühmtes Beispiel das rhythmische Schlagzeug-Pattern (also eine immer wiederholte rhythmische Formel) bei Queen: WE WILL ROCK YOU (1977) (Doppelstrich mit Doppelpunkt bedeutet: Wiederholung)
Die Viertel sind übrigens so rasch, dass man eher einen 2/2-Takt hört, also die verdoppelte Viertelnote als Puls. Trotz des scharfen Akzents »tschá« in der Mitte des Taktes ist durch dieHarmonik und auch durch die Melodik klar, dass die EINS auf dem ersten »du« liegt. Das »tschá« aber reißt förmlich den Takt vorwärts. Und darüber legt sich dann die – gesungene – Sprache:
– http://www.youtube.com/watch?v=zBUJztI884M
Ein beliebtes Mittel eines solchen Vorwärtsreißens ist es auch, schon jeden Puls, jede Zählzeit selbst durch einen angeschärften »Gegenschlag« zu beleben. Die Viertelnoten sind also als zwei Achtel dargestellt, wobei das jeweils zweite Achtel für die »produktive Störung« sorgt:
||: du-ták du-ták du-ták du-ták :||
Wenn jetzt statt der Pulse und ihres »Gegenschlags« nur noch die Gegenschläge selbst erscheinen und die Pulse durch Pausen ersetzt werden, haben wir einen genretypischen Reggae-Rhythmus (táka auf Zählzeit 4 sind dann zwei Sechzehntel-Noten):
||: – ták – ták – ták – táka:||
Manchmal erscheint der 4/4-Takt als sogenannter »Alla-breve-Takt«: Er hat zwar – rasche – vier Viertel, aber die Akzente sind auf den halben Noten. Darum haben Sie als Hörer das Gefühl, dass die halben Noten den Puls, den Beat, bewirken; zu hören ist der Zwei-Halbe-Takt 2/2. Das ist in Rock- und Popmusik ziemlich verbreitet, wurde aber schon in der Renaissancemusik entwickelt und im Barock zur Blüte entfaltet. Von double time wird gesprochen, wenn innerhalb eines Stücks ein Wechsel von akzentuierten Halben auf akzentuierte Viertel erfolgt: Bewirktwird das Gefühl der Tempoverdoppelung. Der Wechsel kann ebenso umgekehrt erfolgen, von »schnell« zu »langsam.«
Sie erinnern sich: Vor all diesen Exkursen beschäftigten wir uns mit dem Tango .
Was ist nun der rhythmische Witz beim Tango ? Die aller-, allerunbetonteste Zeit des 4/4-Taktes, die sogenannte »Vierund«, also das allerletzte Achtelchen, ausgerechnet das wird gern akzentuiert. Und das ist die ganz spezifische Art dieses Tanzes, vorwärts zu gehen, in den nächsten Takt scheinbar fast hineinzustolpern, aber das genau kalkuliert.
||: tipp – tipp – tipp – tipptáa :||
Und jeder weiß: Tango. Aber nur jeder, der in unserer Musikkultur
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