Der Musikversteher
»up-Tempo-Nummer« die Rede. Abgesehen davon, dass die Präzision beachtlich ist (es gibt mindestens zehn Arten des »up-Tempos«), ist der Begriff der »schnellen Nummer« grandios zweideutig.
Manchmal gibt es auch »klassische« Namen wie Moderato (bei den Beatles übrigens die bei weitem beliebteste Angabe).
Slowly, Moderately Slow, Medium Tempo (sehr aussagekräftig …), Moderato, Moderately Bright, Moderately Fast, Brightly .
Steht z. B. Blues Tempo über einem Stück, muss lange gerätselt werden, welcher Blues-Typus mit welcher Geschwindigkeit denn gemeint sein könnte.
Auch Medium Rock Tempo ist nicht sehr präzise; wirklich komisch ist With A Beat .
Im Jazz kommen als Präzisierung noch Genre-Bezeichnungen hinzu, z. B.:
Jazz Waltz, Latin, Ballad, Swing, Slow Bossa, Flamenco, Funky, Rubato (nicht festes Tempo, oft improvisatorisch-frei).
Aber zurück zum Tango: Die extremen Pole von Möglichkeiten des Tempos, sehr langsam oder hektisch schnell – das kann kein Tango sein; das Erste vielleicht langsamer Blues, das Zweite z. B. Techno oder Bebop. Und man merkt immer wieder: Schon die unterschiedlichen Tempi bewirken sehr unterschiedliche Charaktere.
Tempo wird gemessen in bpm – beats per minute, oder, fürdie »Klassiker«, in MM – Mälzels Metronom (Mälzel war ein Bekannter Beethovens, Erfinder dieses musikalischen Zeitmessers).
Ein Argentinischer Tango hat also ein typisches Tempo, MM etwa 116 –120 Pulse in der Minute – und er hat eine spezifische Art der Artikulation der Akkorde:
Typisch ist ein spitzes Staccato, »gestochen« scharf (tipp – tipp – tipp – tipp).
Ein breites Portato (daa-daa-daa-daa) würde, bei identischem Tempo, den Charakter zerstören.
Aber damit ist immer noch nicht genug Individualität gegeben, um einen Tango als Tango zu identifizieren. Wir brauchen, auf der nächst höheren Ebene, einen Takt .
Zur Auflockerung eine kleine, im doppelten Sinne »taktlose« Szene: Sie warten an einer Ampel, als Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer. Ein schwarzer Dreier-BMW nähert sich, fährt vorbei. Was hören Sie?
Was war das?
Eine sich bewegende Schallquelle, in der Regel eine Bassdrum mit Migrationshintergrund. Immer lauter werdend, bis zum Maximum unmittelbar vor Ihnen, dann (schneller) abebbend, die Tonhöhe durch den physikalischen Dopplereffekt steigend, dann (schneller) fallend. So, wie der Equalizer der Anlage eingestellt ist, haben Sie nur die Chance, Beat und Tempo zu hören. Takt, Rhythmus, Melodie, Harmonie – weg. Vielleicht war’s Techno, vielleicht Hiphop – wer weiß. Das scheint aber nicht sonderlich wichtig zu sein. Es soll Musikhörer geben, die brauchen gar nicht mehr als solche maschinellen Betäubungen. Aber jetzt bitte keinen Hochkultur-Hochmut: in Theodor W. Adornos Musiksoziologie ist zu lesen, dass von Beethoven-Symphonien, hört man sie von außerhalb des Konzertsaals, nur die imperialen Paukenschläge übrigbleiben. 15
Zurück zum Takt: So bezeichnen wir eine Zusammenfassungvon Beats in eine geordnete Gruppe. Ein Tango hat immer vier Zählzeiten pro Takt; das kann als Vier-Viertel-Takt notiert sein (4/4), manchmal auch als Vier Achtel (4/8). Wichtig ist: vier. Aber circa 90 Prozent der Rock- und Popmusik haben auch Vierertakte. Um Unverwechselbarkeit herzustellen, müssen zu Tempo und Takt noch Rhythmus, unterschiedliche Betonung/ Akzentuierung und Artikulation kommen.
Übrigens: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass einer der natürlichsten rhythmischen Prozesse, die wir Menschen an uns selber erfahren können, in der Rock- und Popmusik, aber auch im Jazz, praktisch nicht vorkommt (oder zumindest sehr selten)? Ich meine Verlangsamung und Beschleunigung, italienisch ritardando und accelerando . Das hat natürlich viel mit Tanzbarkeit zu tun, aber auch mit der Kürze der Stücke und ihrer sehr einheitlichen Konzeption.
Das Zusammenwirken von Puls, Tempo, Takt, Harmonik und Melodik hat im Verlauf der Musikgeschichte dazu geführt, dass jede Taktart bestimmte Akzente hat, Schwerpunkte. Sie als Musikhörer haben schon so unendlich viele Stücke gehört, dass Sie diesen »Akzentstufentakt« verinnerlicht haben und ihn erwarten. Musikpsychologisch sind wir alle »konditioniert« und können uns dagegen auch gar nicht wehren. Musikhören ist – wie bereits festgestellt – immer auch »intentional«: Wir projizieren in die gehörte Musik unsere gespeicherten Erfahrungen und Erwartungen hinein. Und aus dem Wechselspiel von
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