Der Musikversteher
aufgewachsen ist. Selbstverständlich gibt es noch zahlreiche andere Taktarten. Der 3/4-Takt ist meist mit dem Walzer konnotiert, 2/4 beispielsweise mit schottischen/irischen Hüpftänzen, sechs Achtel (6/8) mit irischen Folksongs. Asymmetrische Takte wie 5/8 oder 7/8 finden wir primär in osteuropäischer Folklore, bei Béla Bartók, Igor Strawinsky; im Rock und Pop etwa bei Sting oder Radiohead. Berühmt ist der 7/4-Takt bei »Love, love, love« in ALL YOU NEED IS LOVE der Beatles. In der Popmusik sehr selten sind Taktwechsel (u. a. Queen, Beatles, Bowie). Bis fünf oder bis sieben zählen, das ist immer noch in den Rock- und Popgenres so ungewohnt, dass ein neuer »Stilname« für eine Musik geprägt wurde, die sich vorwiegend solcher Mittel bedient: Math-Rock . Das »Mathematische« daran ist die Vorliebe für Primzahlen: 3, 5, 7, 11, 13. Ich gebe zu: Für einen Mitteleuropäer bzw. Nordamerikaner sind solche Taktarten (weil so ungewohnt) fast nicht tanzbar.
Die unglaubliche Vielfalt der Rhythmen
Begeben wir uns nun ins unendliche Meer der Rhythmen.
Kleine Anregung: In diesem Kapitel können Sie, wenn Sie Probleme mit den Noten haben, allein auf der Basis der grafischen Anordnung von Rhythmen und Tönen die Phänomene für sich selbst anschaulich realisieren; klopfend, trommelnd, lautmalend, schlagzeugnachahmend, singend (bei Letzterem besteht erfahrungsgemäß immer die größte Zurückhaltung).
Unterschiedlichste Tondauern können auf unterschiedlichste Weise miteinander kombiniert werden. Aber, denken Sie daran: Zum Rhythmus gehört nicht nur Erklingendes, also Töne und Geräusche, sondern ganz substantiell: Pausen . Ich produziere jetzt einmal einen Poprhythmus, bestehend aus Achteln, Vierteln, »punktierten« Vierteln (eine Punktierung verlängert einen Notenwert um seine Hälfte) und Pausen:
Achtel – Viertel – Achtel + zwei Viertelpausen – Achtelpause – zwei Achtel – punktierte Viertel + Viertelpause
Warum haben Sie zu Recht Probleme, diesen Rhythmus wirklich zu verstehen? Sie haben abstrakte Zeitdauern von Tönen und Pausen vor sich. Es ist ein quantitierender Rhythmus . Ihm fehlt die qualitative Einbettung in das System von Zählzeit/Beat und Takt/Akzentstufentakt, es fehlen auch artikulierende Akzente.
Jetzt der Versuch, diesen Rhythmus (etwa 120 bpm) auch ohne Noten darzustellen, mit der Basisinformation 4/4-Takt. Die Konsonanten deuten eine charakteristische Artikulation an:
Erst gemessen an dieser Grundlage werden die rhythmischen Qualitäten verstehbar und erlebbar. Synkopen und Offbeats reiben sich produktiv an den Beats und am Vierertakt.Wenn ich nun Töne und Pausen nehme und sie schlicht dem beat und dem Akzentstufentakt anpasse, gleichzeitig die Artilulation vereinheitliche, kommt Folgendes heraus:
Entsetzlich langweilig, diese Einheitlichkeit und simple Normerfüllung: der Rhythmus erfüllt die Norm des Akzentstufentakts, statt sich produktiv an ihr zu reiben.
Also, unser Poprhythmus synkopiert die ersten beiden Viertel und nimmt das dritte Viertel als O ffbeat voraus (anticipation); dann werden im 2. Takt die beiden Achtelnoten um ein Achtel vorgezogen, auch die anschließende »punktierte« Viertelnote; die wechselnde Artikulation bringt Schärfe und Lebendigkeit in die Sache.
Jetzt habe ich also noch nicht einmal halbe Noten, Sechzehntelnoten, Triolen und andere Raffinessen ins Spiel gebracht und dennoch eine große Vielfalt erzielt mit einem wunderbar dialektischen Verhältnis: zwischen Basis-Regelmaß (der intentionale 4/4-Takt) und den Offbeats, die ihre Qualität erst durch das Wissen um das Regelmaß bekommen.
In der Musikpsychologie, unter Musiktheoretikern und auch unter Komponisten gibt es einen Streitpunkt, was das Verhältnis von Tonhöhen (also Melodien, Harmonien) und Rhythmus betrifft: Was von beiden ist für die Apperzeption wichtiger, schlicht gesagt: Was hat die höhere Gestaltqualität, die eindringlicher ist, die man sich als Hörer besser merken kann?
Mit einem kleinen Experiment kann das verdeutlicht werden.Ich spiele oder singe einen sehr berühmten Anfang eines sehr berühmten Stücks, der V. SYMPHONIE c-MOLL (1807/08) von Ludwig van Beethoven (das ta-ta-ta – taaaa ist sicherlich allbekannt).
– http://www.youtube.com/watch?v=VG_NbzkYhpw (Teresa Carreño Young Orchestra of Venezuela/Christian Vasquez – ein wunderbares Beispiel für die vielfältige Jugend-Musik-Kultur in diesem Lande).
Aber ich präsentiere diesen Ohrwurm einmal
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