Der Musikversteher
Dusch-Szene:Das sind aufheulende Flageolett-Glissandi mit »clustern«, engen Tontrauben.
– http://www.youtube.com/watch?v=81qweiWqyTU
Stanley Kubrick entschloss sich in zahlreichen seiner Filme, bereits existierende Musik auszusuchen, die seiner Vorstellung von Einheit von Bild/Szene und Musik dann genauer entsprachen als Neukompositionen. So hören wir in 2001 – Odyssee im Weltraum u. a. den machtvollen Beginn der Symphonischen Dichtung ALSO SPRACH ZARATHUSTRA von Richard Strauss (1896, nach Friedrich Nietzsche), die SCHÖNE BLAUE DONAU, den Walzer von Johann Strauß (1866) und, besonders dominant, zahlreiche Kompositionen aus den 1960er Jahren des ungarischen Avantgarde-Komponisten György Ligeti (KYRIE aus dem Requiem für Soli, Chor, Orchester von 1963–65, LUX AETERNA für Chor a cappella von 1966, ATMOSPHÈRES für Orchester von 1961 – Letzteres wird auch in den beiden Orchesterpartien in A DAY IN THE LIFE bei den Beatles alludiert; vgl. die Analyse auf S. 176).
ATMOSPHÈRES erklingt eröffnend zu völlig schwarzem Bild; zum »Sonnenaufgang« hören wir den Sonnenhymnus-Beginn von ALSO SPRACH ZARATHUSTRA. Die »Urszene« der Menschheitsdämmerung, die Menschwerdung des Affen, lässt Ligetis Musik erst dann ertönen, als die den gesamten Film real und symbolisch begleitende Stele, der Monolith, erstmals ins Bild kommt und dem »äffischen« Verhalten die schon latent vorhandene neue »menschliche« Qualität gibt.
Die Nietzsche-Strauss-Musik symbolisiert den »Sonnenaufgang der Menschheitsdämmerung« ebenso wie die Idee des »Übermenschen«; sie charakterisiert das erfundene Werkzeug, einen Knochen der Getöteten, zugleich als Mordwaffe, die sich – in die Höhe geschleudert – in grandiosem Schnitt in das Raumschiff verwandelt. Kubrick lässt die futuristische Szenerie ausgerechnet in die sanft schwingenden, vertrauten Walzerklänge der BLAUEN DONAU von Johann Strauß umschlagen – ein musikalisches Zeichen von allerdings trügerischer Wohlgeordnetheit.
Vollends im kollabierenden Sturz durch Raum und Zeit wäre jegliche illustrierende »Filmmusik« eine Beleidigung der Konzeption Kubricks, eine Beleidigung aber auch der ästhetischen Intelligenz der Zuschauer/Zuhörer. Der »von außen« kommende Ligeti kommentiert und überhöht auf atemberaubende Weise jene mathematisch-geometrische, farbspektrale und philosophische Orgie, indem eine völlig klischeefreie klangspektrale Ebene der Musik hinzukommt, die noch einmal einen völlig eigenen Sog entfaltet, der chaotisch erscheint, aber exakt geordnet, strukturiert ist.
– http://www.youtube.com/watch?v=ou6JNQwPWE0&feature=related (Bei 1’27’’ geht das chorisch-orchestrale Requiem in Atmosphères über.)
In The Shining hören wir u. a. den 3. Satz aus Béla Bartóks MUSIK FÜR SAITENINSTRUMENTE, SCHLAGZEUG UND CELESTA aus dem Jahr 1936, zu der Szene, wo der Junge mit seinem Tretauto in den langen, unheimlichen Gängen des Hotels fährt, die Quasivision der beiden Mädchen hat, vor der Tür des Grauens anhält, lauscht; zu hören sind allein die Fahrgeräusche des Kinderspielzeugs (die durch diese Separierung einen Gänsehauteffekt bewirken – das Geräusch als »Musik in der Szene«) und die von außen kommentierende Musik, und da »tickt« etwas (hohes Xylophon), das drohende Gefahr signalisiert; da erschauern leichte Streicher-Tremoli, da gibt es lauernde Glissandi in den Pauken, da kündet eine dünn-hohe Violin-Kantilene zusammen mit der ätherischen Celesta vom Wahnsinn – und man sieht die Bilder plötzlich ganz anders. Das Grauen lauert. Und, rein technisch und gleichzeitig höchst künstlerisch: Kubrick hat seinen Schnitt der Musik angepasst, nicht, wie es sonst üblich ist, der Filmkomponist seine Musik dem Schnitt.
– http://www.youtube.com/watch?v=3t60oY0TbTU
Das setzt sich nun ganz bewusst von der opernhaften großen Hollywoodmusik der späten dreißiger und der vierziger Jahreab, wo europäische Opernkomponisten ihr »altes Genre« in die Gattung Filmmusik transferierten: so Erich Wolfgang Korngold (u. a. Robin Hood und The Sea Hawk ) oder Max Steiner (u. a. King Kong; vgl. die Kurzanalyse S. 146). Hitchcocks Rebecca (Franz Waxman) ist – trotzdem? – grandios; Bernard Herrmann schrieb ebenfalls eine sehr opernnahe Musik in den Dreißigern zu Orson Welles’ berühmtem Film Citizen Kane .
7. Sappho und die starken Frauen in der Musik
Kurzanalysen: Tammy Wynette STAND BY YOUR MAN; The Judds WHY NOT ME; Taylor
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