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Der Musikversteher

Der Musikversteher

Titel: Der Musikversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hartmut Fladt
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Pendeln zwischen zwei Takten C-Dur als Tonika-Gegenklang (VI. Stufe; für die Fachleute: da erklingt dann C-Lydisch) und zwei Takten e-Moll als Tonika (i. Stufe).

    Und wenn wir schon bei den alten Kirchentonarten sind: Die Strophe steht im wunderbaren e-Dorisch. Den charakteristischen »dorischen« sechsten Ton der e-Moll-Skala (=  cis) können Sie in der Melodie auf die markierten Textsilben hören:

    Und noch in der Strophe geht es zurück ins Äolische: aus cis wird wieder c:

    Im Refrain (0’12’’– ca. 0’31’’) begegnen wir der schon in MICHELLE gehörten, in Halbtönen abwärts geführten, chromatischen Lamentolinie wieder, aber: hier ist sie versteckt in einer Mittelstimme, und sie wird variiert.
    George Martin liefert uns ein wichtiges Stichwort für die abschließende »Coda« (0’30’’ – ca. 0’46’’) des Songs: »Mir war damals aufgefallen, dass der Satz ›Oh, look at all the lonely people‹ gut funktionieren würde, wenn man ihn als Gegenlinie zum Ende der Hauptmelodie sänge. Kontrapunkt. Ich schlug also ein Overdubbing vor. Die vier waren vom Ergebnis überwältigt. ›Woher hast du das gewusst, dass das an dieser Stelle funktionieren würde?‹, fragte Paul.
    Sie selbst besaßen ein instinktives Gefühl für diese Art von Komposition und hatten zum Beispiel für die beiden gegenläufigen Melodielinien in HELP, das sie im gleichen Jahr schrieben, keinerlei Hilfestellung meinerseits gebraucht.« 25
    Wie bewusst ist all das komponiert? Man muss, um bestimmte Dinge in der Musik zu machen, nicht unbedingt ihre musiktheoretischen Namen wissen. Um grammatikalisch korrekt zu sprechen, muss ich den Unterschied von Futur I und Futur II nicht benennen können. Aber ich muss in diese spezifische »Sprache der Musik« hineingewachsen sein, ich muss viel Vergleichbares gehört haben, ich muss mir ein sinnliches und praktisches Wissen angeeignet haben, um mit solchen Möglichkeiten auch experimentell und kreativ umgehen zu können: singend, auf der Gitarre, auf einem Tasteninstrument. Um mir ein solches umfassendes Wissen anzueignen und praktisch umzusetzen, muss ich nicht einmal Noten lesen können. Der frühe Jazz, oft schon recht komplex, war eine schriftlose Musikkultur.
    ALL YOU NEED IS LOVE (1967)
    – http://www.youtube.com/watch?v=OiMJqae4jsU
    (In dieser wunderschönen Version aus dem Film »Yellow Submarine« verschieben sich die Zeitangaben um jeweils 29 Sekunden.)
    Ruhige Gewissheit des Phlegmaticus in G-Dur. Das ist die ruhig-gefasste, fast philosophische Hymne der Love-And-Peace-Zeit. In ihr kommt das phlegmatische Temperament zum Ausdruck. »Phlegma« war ja, in der Spätantike wie im Mittelalter und der Renaissance, positiv besetzt! Erst die Genie-Ästhetik des späteren 18. Jahrhunderts macht sich über diese Gelassenheit als Trägheit lustig: »Zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma ist geblieben« (Friedrich Schiller, aus dem Gedicht Männerwürde ).
    Ein »Phlegmaticus« auch der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lässt sich von den täglichen Aufgeregtheiten, sogar von den Schrecken des Vietnamkrieges nicht aus der Bahn werfen. Er setzt dem den Hymnus auf die Liebe entgegen. Allerdings hat der Beatles-Phlegmatikus durchaus auch sanguinische Anteile.
    Wichtig ist zu wissen, dass ALL YOU NEED IS LOVE 1967 für die allererste weltweite Fernseh-Satellitenübertragung komponiert wurde, die etwa 400  Millionen Menschen verfolgten. Da waren nun die Beatles zu sehen und mit ihnen ehrwürdige Herren vom London Philharmonic Orchestra (Frauen waren damals noch nicht dabei). Und was hörten die 400 Millionen zu Beginn eines Beatles-Songs? Die französische Nationalhymne.
    Doch – jetzt müssen die Franzosen weghören: es geht gar nicht um Frankreich. Es geht um die Prinzipien der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, und dazu, grundierend, das Prinzip Liebe. Und das dann raffinierterweise mit asymmetrischen Takten: sieben Viertel, also 4/4 plus 3/4.

    Das ist in der Popmusik fast ein Sakrileg: die Abweichung von den symmetrischen Zweierpotenzen! Aber sie erzeugt die Unverwechselbarkeit. Und diese unverwechselbare Individualität ist nicht sperrig-befremdlich, weil die Melodie und die Harmonik und die Soundinszenierung vertraut bleiben.Und das kommt uns beim Hören so schön natürlich vor! Im Refrain (1’00’’ – 1’24’’) dann in der Melodie die Beschränkung auf einen einzigen Ton – das könnte sehr langweilig sein, wenn

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